Michael Hofstetter und Elias Hassos.
Ein Gespräch über Fotografie. 2003

 

MH:Du hast von deiner Abschlußarbeit an der Münchner Fotoschule erzählt.
Mit einem Freund hast du dich auf die Suche nach dessen Vater gemacht. Eure
Recherche ergab, das er in Kroatien, im jugoslawischen Bürgerkriegsgebiet
wohnte. Du fuhrst mit deinem Freund dort hin und warst mitten drin im Konflikt
zwischen leiblicher, religiöser und staatlicher Identität die im Zusammenspiel zu einer Gewalt einsetzenden Politik führte. Welche Funktion hatte in diesem Zusammenhang die Fotografie ?

EH: Ich fange einmal mit der Aufgabenstellung zu dieser Geschichte an. Wir haben
natürlich gehofft, den Vater zu finden. Dann würden sich Vater und Sohn nach 23
Jahren zum ersten Mal wiedersehen. Für mich war die Frage: Werde ich diesen
Moment fotografieren oder nicht. Ich entschied mich dafür, den Moment nicht zu
fotografieren, ich hätte es als aggressiv empfunden. Mir war klar, dass diese
Geschichte sehr sensibel, intim und familiär ist. Ensprechend behutsam wollte
ich vorgehen. Daher habe ich mich als Fotograf erst einmal zurückgenommen und
versucht Vertrautheit und Akzeptanz aufzubauen. Es war dann auch einfacher. Ich
konnte entspannter fotografieren. Diesen ersten Moment habe ich also bewußt
ausgeklammert. Die zweite Frage war, was ich zeigen kann. Ich bin dann eher ins
Athmosphärische, in die Stimmung gegangen. Ich habe versucht, sie in den
Erzählebenen umzusetzen, der persönlichen Ebene Vater/Sohn und der
Kriegsebene. Der Krieg war für mich eine völlig neue Erfahrung; man kann sich
da nur bedingt ein Bild machen. Das Thema so aufzuarbeiten, war für mich damals
die adäquate Lösung. Die interessanteste Entdeckung war aber, dass diese
Geschichte einen Anfang - als wir dort aus dem Bus gestiegen sind - und ein Ende
hatte - als wir dort wieder in den Bus eingestiegen sind. Jedes Foto, das in
diesen sieben, acht Tagen entstanden ist, bekam für mich dadurch eine Wahrheit.

MH: Warum glaubst du, wäre es eine Tabuüberschreitung oder ein gewaltsamer Akt
gewesen, wenn du diesen Augenblick fotografiert hättest ?

EH: Jeder, der fotografiert, muß mit sich selber ausmachen, wie er arbeitet. Ich
hätte das Gefühl gehabt, über die Privatsphäre des Gegenüber hinwegzuschreiten. Wenn ich Menschen fotografiere, kommt eigentlich immer erst ein Dialog und dann die Fotografie. Ich fühle mich sonst unwohl, ich empfinde mich als aggressiv, wenn
ich Menschen ungefragt fotografiere. Ich selber möchte das auch nicht haben.
Ich möchte, dass wir uns gegenseitig vorstellen und kennen lernen, erst dann
wird fotografiert.

MH: Darauf möchte ich noch einmal genauer eingehen. Wie siehst du den
Zusammenhang zwischen Überschreitung und Fotoapparat bzw. Fotografieren.
Könntest du dir vorstellen, dass diese Überschreitung vielleicht gerade das
Wesen der Fotografie ausmacht ?

EH: Die Fähigkeit, die Macht der Fotografie besteht darin, mehr zu zeigen als
Oberfläche. Das ist auch der Punkt, warum ich die Einwilligung des Gegenüber
haben will. An der Fotoschule habe ich damals eine Reportage über die
Clearing-Stelle in Halbergmoos gemacht. Das ist eine Sammelunterkunft für
Jugendliche, die als blinde Passagiere im Flughafen München ankommen. Die ersten
drei Tage habe ich überhaupt nicht fotografiert, sondern mit ihnen Fußball
gespielt, gekickert, gequatscht, Comics angeschaut. Ich wollte zuerst einmal
eine vertraute Situation schaffen, in der meine Anwesenheit und die der Kamera
als selbstverständlich empfunden würden. Dann ist die mit dem Fotografieren
verbundene zwangsläufige Überschreitung kein Tabubruch mehr.

MH: Du hattest in unserem ersten Gespräch Robert Frank als frühes und wichtiges
Vorbild erwähnt.

EH: Bei Robert Frank war es vor allem das Unmittelbare, Spontane, das scheinbar
Zufällige. Das Foto von dem Mädchen, das verhuscht aus dem Aufzug steigt. Frank
erreicht dadurch eine starke filmische Ästhetik. Man hat aber nie das Gefühl,
dass es genau um dieses Mädchen geht. Heute geht es mir mehr um die
unmittelbare, persönliche Auseinandersetzung. Trotzdem wirkte sein Stil irgendwie
authentisch. Man hatte immer das Gefühl, er sei mittendrin.

MH: Der Blick, den Franks Fotos generieren, ist der Blick eines Außenstehenden,
der die schöne Seite des American way of life nicht in den Gesichtern der
Amerikaner entdecken kann. Es ist gerade die Distanz, die Ironie, das Aufdecken der Wiedersprüche, die Analyse der gesellschaftlichen Determiniertheit der abgebildeten Personen, die die Qualität ausmachen. Wo du ganz spontan sagst Ja richtig.
In Franks Fotografien gibt es eine Verbindung zwischen Bild, Grammatik der Aufnahmeapparatur und dargestellter kultureller Einschreibungen. Es ist immer ein Blick von Außen. Du verzichtest zum Beispiel in deiner Kroatien-Arbeit auf jeden Außenpunkt. Du versuchst nicht, das Foto als Instrument der Eroberung, der Entlarvung einzusetzen. Du versuchst in deinen Bildern, eine sprachlose Nähe zu generieren. Was ist der Hintergrund für deine so ganz andere Art von straight photography ?

EH: Robert Frank bezieht sehr viel stärker Position, als ich es in der
Kroatien-Arbeit mache. Ich wollte keine politsche oder gesellschaftskritische
Postion beziehen. Ich wollte nur Atmosphäre, meine emotionale Wahrnehmung und
die Stimmung darstellen. Das war für mich der eigentliche Standpunkt, die
eigentliche Aussage. Jede Wertung wollte ich bewußt vermeiden.

MH: Deine Arbeiten haben auch eine gewisse Bildverwandtschaft mit dem was
Wolfgang Tillmans macht. Nämlich darin dass deine Bilder nicht behaupten der Fotograf stünde außerhalb der fotografierten Welt. Du zeigst die Welt als großen Chill-out-room, in dem man zusammen rumhängt, trinkt, redet und auch fotografiert. Aber besteht da nicht die Gefahr der Milieublindheit, dass man blind ist für die Problemstellen der Sache, in die man sich eingespeist hat? Mit dieser Aufgabe von Differenz, wird in gewisser Weise auch die Unmöglichkeit von Politik statuiert. Gibt es über deine persönliche Motivation hinaus, mit dem fotografischen Bild niemanden bloßstellen oder vergewaltigen zu wollen, auch grundsätzliche strukturelle Überlgegungen, warum man den aufklärerischen, politschen Weg nicht wählt ?

EH: Ich habe immer eher nach einer persönlichen Wahrheit als nach einer gesellschaftlichen, politischen gesucht. Ich wollte meinen eigenen Standpunkt finden. Im Guten, aber nicht in einer politschen Haltung, auch nicht in einer esoterisch-ideologischen Identität, sondern in einem zwischenmenschlichen Standpunkt. Diese Frage hat mich die letzten zehn Jahre beschäftigt.

MH: Ich würde es im Gegensatz zum analytischen Verhältnis zur Welt als ein anteilnehmendes Verhältnis zur Welt bezeichnen. Die Bilder bewegen sich alle zwischen Kultur und Natur, deiner eigenen Natur und der Natur, die du siehst, deiner eigenen Kultur und der Kultur allgemein. Du versuchst in gewisser Weise über die Fotografie autonome Bilder herzustellen. Dasselbe haben vorallem Bauhaus Künslter wie Moholo Nagy auch versucht und sind auf einen höchst problematischen Zusammenhang von Natur und Technik gestoßen. Dieser ideologisierende Zusammenhang entschärft sich und verschwindet in deinen narrativen Arbeiten als Bildjournalist.

EH: In der Kroatien-Arbeit zum Beispiel ist die Präsentation der Bilder noch
sehr filmisch. Ich habe sie in Bildpaaren und in Triptychen angeordnet. Es steht
also nie ein Einzelbild im Vordergrund, die Bilder korrespondieren miteinander,
stehen miteinander im Dialog. Sie funktionieren auf einer narrativen Ebene. Jetzt versuche ich das eine gültige Bild zu machen, ihmn eine andere kommerziellen Fotografie der Neunziger durchgesetzt hat - links Blume, rechts Portrait, nächste Doppelseite ein Koffer und eine Straße, eine versiffte Hauswand und ein Auto, Detail und offener Blick -, das reichte mir nicht mehr. Es war als Muster, als Bildsprache so normal und in gewissem Sinne auch zu beliebig geworden.

MH: Welche Fotografen waren in diesem Zusammenhang für dich wichtig ?

EH: Das Streben nach dem einen, gültigen Bild habe ich zum ersten Mal bei Jeff
Wall ganz deutlich gespürt, im Gegensatz zu Nan Goldin oder Araki, bei denen
die Komplexität der Welt in einer entsprechenden Vielzahl von Bildern
abgebildet wird. Unter den deutschen Fotografen waren es die Arbeiten von
Struth, Gursky und Ruff.

MH: Bei Jeff Wall ist es gerade der Deckmantel der Angewandtheit, der in eine autonome Sprache umschlägt. Die verwendete Form des Leuchtdisplays aus der Werbung im öffentlichen Raum steht dialektisch zu dem fehlenden eindeutigen Adressaten. Die Möglichkeit der Verführung ist im Bild durch seine vordergründige Bildsprache der Werbung und seine Präsentation schon vorweggenommen und damit nicht mehr offen für weitere ideologische Einschreibungen.

EH: Wenn ich etwas finde oder entdecke, dann entsteht das Foto aus einem Impuls
heraus. Ich kann nicht aus einer sachlichen Haltung heraus fotografieren. Genauso ist es mir nicht möglich ganz bewußt existierende Bildsprachen, wie die der Werbung oder inszenatorische Mittel für meine Bilder einzusetzen. Ich brauche den Impuls. Er ist für mich der Anfang des künstlerischen Akt und ich glaube, er bedingt auch das emotionale Moment. Diese sachliche und wissenschaftliche Aufarbeitung der Welt wie z.B. durch die Becherschule, ist mir persönlich zu spröde. Ich möchte gültige Einzelbilder machen mit einer auf den ersten Blick sachlichen Ästhetik, die trotzdem ein subtiles emotionales Moment enthalten. So würde ich meine Arbeit positionieren.

MH: Vielen Dank für das Gespräch.

Michael Hofstetter: ist bildender Künstler. Er beschäftigt sich in seiner künstlerischen Arbeit und seinen Aufsätzen mit der Einschreibung des Fotografischen in die Wirklichkeit.