Michael Schultze: Hinter geschlossenen Türen, 1998 Der Hintereingang, das Remisentor eines Malerfürsten des neunzehnten Jahrhunderts bildet, als in den Raum hineinversetztes Objekt, den Träger einer Ankündigung für ein Symposium über Mode und Kunst. In der Verdoppelung des Remisentors, in dem Übereinanderschreiben zweier Türen liegt der erste Hinweis von Michael Hofstetters Arbeit Die Schwelle auf ein Vorgehen, welches sich nährt aus einer ganzen Reihe von Übergängen und leichten Verschiebungen. Zum Beispiel denen der Bedeutung von Hintertüren, Hintereingängen und Remisentoren: in ihrer ursprünglichen Konzeption waren sie Merkmal und Definition der Trennung von einer den Luxus genießenden und einer diesen produzierenden Schicht, in ihrer Architektur lassen sich die Klassen- und Produktionsverhältnisse einer Epoche beobachten, und daneben – so will es die Literatur – schlüpfen zu den Hintereingängen die heimlichen Liebhaber herein und heraus (ein Ort der Romantik also und einer der zentralen Widersprüche in der Gesellschaft). Jetzt kleben Plakate daran und verbergen das Tor fast vollständig. Der Luxus wird nicht mehr durch diesen Hintereingang in das nun Museum gewordene Haus hereingetragen, sondern er wird direkt an Ort und Stelle produziert. Als Modenschau zum Beispiel, wie uns die Arbeit vorführt. Oder in Form einer Rhetorik über diesen Luxus. Nennen wir ihn Mode. Die Firma Ahlers, eine in Nordrhein-Westfalen ansässige Holding mit Lizenzverträgen z. B. Pierre Chardin, sponsort seit einer geraumen Weile das Lenbachhaus München und druckt auf der Rückseite der Eintrittskarten den bezeichnenden Satz: "Kunst für die Menschen, für die wir Mode machen". Ein gelungenes Beispiel für Corporate Identity und Corporate Culture. Der Luxusjuwelier XY feiert schwelgende Verkaufspartys mit Prominenz im Garten des Hauses, als Gegenleistung trägt er Sorge um den Garten (denn dieser ist kein Hintereingang). Sponsoring gehört sicherlich inzwischen zum Alltag des Kulturbetriebs, doch ist in diesem Fall der Wirtschaftszweig der Sponsoren bemerkensewert. Hier werden keine Zigaretten oder High-Tech-Produkte subtil beworben, sondern Luxusgüter – Mode und Schmuck. Um bei unser Metapher der Hintertüre zu bleiben: Die reale Produktion der Luxusgüter ist längst nach Singapur und Malaysia ausgelagert (hinter die Hintertüre), ihre fiktionale Produktion aber muß notwendigerweise in einer mit allen Attributen des Luxus und des Genusses ausgestatteten Umgebung stattfinden. Im Museum zum Beispiel. Mode bildet das feine Bindeglied zwischen den Hochkulturproduktionen wie der bildenden Kunst und der Popkultur. Ihre Klientel rekrutiert sich sowohl aus Kulturbourgeoisie wie aus Kindern der Straße und der Clubs. In den Repräsentationen der Mode sind die Kanäle eingewoben, die eine – meistens eingleisige – Kommunikation zwischen diesen antagonistisch geschiedenen Ausprägungen der Kultur ermöglichen. Aus diesem Grund hat auch eine ganz andere Form der Auseinandersetzung zwischen Mode und Kunst Eingang in die Institutionen gefunden als die des corporativen Sponsorings: ein neues Phänomen mit dem schönen Namen 'Crossover'. Der in den Institutionen angesiedelte Diskurs um Mode und dessen Bezug zur Gesellschaft, mal mit analytischen Mitteln, mal mit Affirmativen.1 Daß die in Orten wie dem Museum, der Galerie oder dem Magazin stattfindende Auseinandersetzung von Künstlern und Theoretikern mit dem Bindeglied-Phänomen Mode vielleicht nichts anderes darstellt als eine – gewendete – Luxusproduktion, die auf den gleichen (falschen) Voraussetzungen basiert wie das Modesponsoring, bildet das thematische Netz von Hofstetters Arbeit Die Schwelle. Die Problematik der Darstellung hiervon und der Versuch, einer festen Zuschreibung zu entkommen, sind ebenso darin eingelagert. Dazu benutzt Hofstetter äußerst disparate Einzelelemente, deren auffälligste das große Tor und die darauf montierten Plakate sind. In den Plakaten wiederum ist der Hintergrund der Fotografien aus einem anderen Kontext als das, was davor stattfindet. Selbst die Liste der Vortragenden ist uneindeutig und reicht von linken Kulturkritererinnen bis zu arriverten Modefotografen – Modedesigner selber fehlen gänzlich. Viele Dinge und viele Kontexte also, fast eine perfekte Darstellung der Institution Kunst mit ihren wechselnden Koalitionen. Und der einzige Zugang dazu scheint durch die Hintertür zu sein. Um dort hineinzuschleichen, verfolgt Michael Hofstetter die Strategie eines 'Encore': durch das extreme Schichten von Bedeutungen und Referenzen und die Koppelung oder Parallelität seiner Formen und Methoden spannt er die scheinbar unvereinbaren Dualismen – High und Low, Theorie und Praxis, Darstellung und Ereignis, Objekt und Fotografie etc. – in ein vielfältig lesbares System ein, welches die jeweilig grundlegenden Ideologien aufzeigt und in ihrer Unvereinbarkeit nebeneinanderstellt. Dieses Vorgehen formuliert ein Gegenmodell zum modernistischen Prinzip der Collage, in der alle Einzelelemente, analog zur Montage im Film, in einem gemeinsamen Ganzen aufgehen und eine neue Aussage formulieren. Dieses synthetische Prinzip verkehrt Hofstetter in sein Gegenteil: Die Produktionslogik der Montage wird überführt in ein analytisches Nebeneinanderstellen der Elemente, in der der Betrachter seine persönliche Verortung vornehmen muß: ein indexikalisches Aufzählen diverser künstlerischer Praktiken, welche durch die Anwesenheit im institutionellen Ausstellungsbetrieb jegliche Form von kritischem Potential eingebüßt haben. Eine Rezeptionslogik, in der das Graben in verschiedenen Kontexten und Bezügen, das subtile Verweben von scheinbar an der Oberfläche liegenden Modellen innerhalb der Kulturproduktion den Katalog von Dispositiven bildet, an dem sich zeigt, wie die verschiedenen Einzelideologien von Kunst, Mode und Theorie in der Institution zu einem feinen Schleier zusammengewoben wurden und in dem es keine (zumindest keine leichte) Positionierung mehr gibt. Ein endloses Mäandern durch die fluktuierenden Verhältnisse zwischen der Institution, den darin behandelten Inhalten, ihrer Repräsentation und ihrer Ideologie. Greifen wir ein paar Elemente heraus: Das Objekt, auf der die Plakate montiert sind, schrumpft den Ausstellungsraum auf eine qausi zweidimensionale, flächige und semantische Ebene zusammen. Der Galerieraum findet also, in der Rezeptionslogik der Arbeit, in der fiktiven (und ideologisierten) Ebene des Plakates statt, in der Ankündigung des Symposions. Das Plakat mimt und besetzt gleichsam den Galerieraum und versucht, eine aufklärerische und kritisch/theorietische Position einzunehmen. Eine Position, die äußerst problematisch geworden ist, wie die Fotografien zeigen, die den Hintergrund des Plakates bilden. Auf ihnen posieren Models in demselben Raum, dessen Wände mit einem durchlaufenden Text bedeckt sind. Diese Wandbeschriftung besteht aus extrahierten Zitaten von Künstlern, die in München Kunst-am-Bau-Projekte durchführten.2 Die vor dieser 'Tapete' aufgenommenen Models mimen die standardisierten Gesten der Modefotografie in einem 'Textraum', in dem ein metaphorischer Konflikt stattfindet zwischen den Künstlerstatements und der 'sinnlichen Präsenz' der korporativen Modefotografie. Die 'eigentlich' im Raum anwesenden Kunstwerke sind gleichsam ausgetauscht durch die Models, und natürlich läuft hier Hofstetters Arbeit sehenden Auges in die eigene selbstgestellte Falle: dieser simple Austausch von (handelbaren) Kunstobjekten zu theoretischen Konstruktionen oder einer wahlweise medial vermittelten oder 'realen' Realität kann in der Arbeit auch wiederum nur durch einen, wenn auch komplizierten, Kniff der Repräsentation geschehen – so die Logik des Ausstellungsraumes. Daß das Vorführen genau dieses Paradoxons eine der zentralen Momente der Arbeit bildet, zeigt sich, wenn man erfährt, daß dieses Symposium nie stattgefunden hat, so daß die Arbeit quasi nur durch ihren fiktionalen und repräsentationellen Charakter ihre Funktion erfüllt. Hier überführt sich diese Widersprüchlichkeit in der Betrachtung in die Gurndkonstitution der gesamten Arbeit: des Widerspruchs der Institution Museum, in dem die Inhalte als signifikante Rhetorik den Hintergrund liefern, welcher sämtliche Antagonismen nivelliert und alle ursprünglich radikalen und subversiven Gesten auslöscht. Das Zurückdampfen relevanter Inhalte und Diskurse auf eine reine Metapher, in der jede Bezüglichkeit nurmehr den Status eines rhetorischen Aktes erhält, ist die Grundlage jeder Institution. Hofstetters Arbeit beschreibt eine Möglichkeit, mit diesem Phänomen umzugehen: durch die enorme Referentialität seiner Arbeit, die quasi eingebaute Überkodierung und seinen fiktiven Charakter, der weiterhin einer institutionellen Produktionsgeste gehorcht, wird ein Pluralismus in der Rezeption evoziert, in dem der Betrachter seine eigene Geschichte und eine mögliche Haltung dazu entwickeln kann und muß. 1 Daß das Sprechen über Mode nicht automatisch etwas mit einer Realität im z. B. sozialen Sinne zu tun hat, und daß die meisten dieser Repräsentationen ausdrücklich auf bestimmte Codes der Kunst verweisen, ist auffallend oft zu bemerken. Vanessa Beecroft z. B. hat uns in der Made in Italy-Show im ICA in London hervorragend vorgeführt, was der ganze Hype mit den (wirklich sehr realen) Models taugt: sie dienten als Ornament für ihre Zeichnungen, die dann doch wieder das 'eigentliche' Objekte der Ausstellung waren, Ware und Kunstwerk im traditionellsten Sinn. 2 Die Künstlerzitate bilden einen nahezu perfekten Katalog künstlerischer Strategien (fast alle kreisen um einen Begriff von künstlerischer Autonomie, der historisch fragwürdig geworden ist), welche sämtlich in der großen Archivmaschine Museum gelagert sind (um genau zu sein, in einem Buch, verlegt von Helmut Friedel, dem Leiter der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, in welcher die Arbeit situiert war – was den den Kreis ein wenig schließt bzw. den Kontext herstellt). Sind die Inhalte und Methoden erst einmal in diesem Apparat, so stehen sie (laut Hofstetter) nicht mehr in einem konkurrierenden Verhältnis, sondern sind nur noch archivarisches Material, beliebig austauschbar und volkommen redundant, nurmehr die ornamentale Tapete, vor der wiederum die nächste Debatte stattfinden kann. | 1997 Tor DieSchwelle Michael Hofstetter, "Die Schwelle", 1997, Lenbachhaus München |