Michael Hofstetter, Die Schwelle, 1997
Lenbachhaus München
Thomas Dreher: Michael Hofstetter: Die Schwelle
Nach einem im Kunstkontext (immer noch) paradigmatischen Konzept sind Werke isolierte Objekte, deren Präsentation neutrale Fonds liefernde Räume mit weißen Wänden voraussetzt. In einem für die Präsentation isolierter Objekte geschaffenen Raum kann ein Künstler eine den Umraum in den Werkraum integrierende Installation realisieren, indem er mit den gegebenen Präsentationsumständen auch das etablierte Werkkonzept problematisiert. Eine Kunst, die sich in einen vorgegebenen Kontext zwar einbetten will, dies aber nicht anpassend, sondern mit Kritik am Gegebenen realisieren will, kann, wenn der Kontext ein musealer ist, mit dem Umraum zugleich das dessen Gestaltung zugrunde liegende Kunstkonzept - und umgekehrt: mit einem Kunstkonzept dessen Folgen für die Gestaltung von Ausstellungsräumen - in einer Modellsituation zur Disposition stellen. Eine nur vorläufig in eine gebaute Manifestation eines Kunstkonzeptes eingebettete, den Umraum nur ergänzende Installation kann Anlässe liefern, über Postulate von Kunstkonzepten und in Ausstellungsräumen enthaltene Präsentationsprämissen nachzudenken: Die Ergänzung wird zum Anlaß von Diskursen über das Ergänzte und das Periphere sowie Ephemere wird zum Anlaß, über das als zentral Geltende und dauerhaft Gebaute zu reflektieren. Eine Installation ist zwar räumlich Teil des Kunstkontexts, kann aber auf der semantischen Ebene auf Aspekte von Diskursen der Kunst (Kunstkritik, Kunsttheorie, Künstlertheorie) über Kunstwerke und ihren Kontext (die Institution Kunst/die Kunstwelt) hinweisen, Kritik provozieren und auch explizieren. Reflexion provozierende oder sie explizierende semantische Elemente wie Texte und Bilder können so verteilt sein, daß sich semantische und räumliche Ebenen wechselseitig erhellen.
Kunst, die ihre eigenen Präsentationsumstände problematisiert, muß den gegebenen Umraum erst als Voraussetzung der eigenen Strategie der kritischen Selbsteinbettung akzeptieren, bevor sie diese Basis als beschränkte ausweisen kann: Ein Bruch mit Gegebenheiten scheidet aus, wenn nicht die eigenen Voraussetzungen durch Destruktion beseitigt oder via Negation affirmiert - keine Negation ohne Affirmation durch den Verweis auf das Negierte - werden sollen. Als Alternative zu Destruktion und Negation bieten sich Strategien an, die Verschiebungen in dem vorgefundenen Gefüge aus verschränkten räumlichen und semantischen Ebenen erzeugen.
Michael Hofstetter hat kontextbezogene Installationen im musealen Kontext auf eine die Selbsteinbettung in den Kontext problematisierende Weise 1994 im Haus der Kunst, 1996 im Grazer Palais Herbertstein und 1997 zuerst in der Galerie Stadt Sindelfingen sowie später im Münchner Lenbachhaus realisiert.(1)
Als Modell der Beobachtung eines Umraums, das am Ort der Beobachtung präsentiert wird, erweist sich auch "Die Schwelle" in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus als kontextbezogene und -reflexive Kunst im Kontext.1 Von allem entfernt/Alles beherrschend, Haus der Kunst, München, 1994, in: Hofstetter, Michael: Das Fortschreiben der Umstände 1990 - 1995. O.O. 1995, S.106-113.
Vier plus vier, Galerie Stadt Sindelfingen, 1997, in: Pannewitz, Otto (Hg.): 20 Jahre Kunststiftung Baden-Württemberg. Mediale Welten - 6 Stipendiaten stellen aus. Galerie Stadt Sindelfingen. Sindelfingen 1997, S.32-41.
Hofstetter installiert 1997 "Die Schwelle" in einem Ausstellungsraum des Lenbachhauses, den der Besucher von einem breiten Gang aus betreten kann, nachdem er Kasse, Museumsshop und Café passiert hat. Besucher sehen vom Gang aus durch eine offene Tür in den Austellungsraum und auf eine dort stehende Wand in den Formen eines Tores. Sobald Beobachter den Raum so weit betreten haben, daß sie auf die von der installierten Wand abgedeckte Raumhälfte blicken können, sehen sie in der rückwärtigen Wand ein Tor und erkennen jetzt, daß Maße und Formen der Holzteile des Tores, das dem An- und Abtransport von Ausstellungsgut dient, von der von Hofstetter installierten Wand wiederholt werden.
Die Wand in Torform als umgehbare Schwelle und der verschlossene Tordurchgang korrespondieren: Umgang und Nicht-Durchgang. Wer die Ausstellungsräume des Lenbachhauses verläßt, kann in der Richard-Wagner-Straße die Außenseite des Tores sehen: Die "Schwelle" im Lenbachhaus verweist auf dieses Kunstmuseum als Innen/Außen-"Schwelle" zwischen verschiedenartigen öffentlichen Räumen: Der museale Kontext wird in der Installation als eine der Brechungen des öffentlichen Stadtraums in "Heterotopien"(2) ausgewiesen.
2 Foucault, Michel: Andere Räume. In: Hämer, Hardt-Waldherr/Kleihues, Josef Paul (Hg.): Idee Prozeß Ergebnis. Die Reparatur und Rekonstruktion der Stadt. Kat. Martin-Gropius-Bau. Berlin 1984, S.337-340.
Besucher werden so in die Installation geführt, daß sie zuerst die das Wiederholte abdeckende Wiederholung sehen. Während René Magritte in «La Condition Humaine»(3) ein Bild im Bild als Abbildung einer Abbildung die Stelle einer Abbildung und des Abgebildeten vertreten läßt, verdeckt in "Die Schwelle" die Replik nur von bestimmten Standpunkten aus das Original. Von Magritte wird der Bezug zwischen Abbildung und Abgebildetem als Relation zwischen abwesendem Abgebildetem und zwar anwesender, aber im Bild-im-Bild in sich wiederum in anwesendes und abwesend-verdecktes Bild brechender Repräsentation vorgestellt. Hofstetter dagegen verweist durch die Replik auf das präsente Replizierte. Installationen der Kontextkunst stellen wieder direkte Bezüge zu Objekten und Situationen im Umraum her, allerdings geschieht dies nach Magritte auch bei Hofstetter nicht ohne auf der Ebene der Text- und Bildsemantik das Problem des abwesenden Ursprungs - der "Ur-Spur"(4) - zu reflektieren. Da auch die Elemente des Realbezugs vorcodiert sind - als Formen eines festgelegten und unterschiedlich kultur- und sozialhistorisch vorbelasteten Architekturvokabulars - , kann auch der reale Referent im Ausstellungskontext als reproduziertes Muster mit meist fragwürdigem oder nicht mehr eruierbarem Ursprung problematisiert werden: Das Formenvokabular des 'Originals' der Torreplik ist bereits Resultat einer Kette von Repliken mit und ohne Variationen.
3 Magritte, René: La Condition Humaine I, 1933, Öl/Lw., in: Schneede, Uwe M.: René Magritte. Leben und Werk. 3. Auflage, Köln 31978, S.49ff.,83, Farb-Abb.3. Vgl. Magritte, René: Sämtliche Briefe. Frankfurt a.M. 1985, S.108.
4 Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt a.M. 1974 (i.O.m.d.T. De la grammatologie. Paris 1967), S.107, vgl. S.113f.
Ein Ausschnitt in der Torreplik zeigt ein dunkelbraunes Rechteck, dessen (mittels Urin) oxydiertes Kupfer(5) den der Witterung ausgesetzten Beschlag auf der Außenseite des Tores und die Maße des museumsinternen Durchgangs aufgreift. Daß sich hinter den Holzteilen der Torreplik eine Kupferplattenschicht über die gesamte Fläche der installierten Wand erstreckt, ist an deren Schmalseiten zu sehen. Die Kupferschicht der "Schwelle" besteht aus mehreren Platten, deren Größe aus praktischen Gründen nicht den Maßen der Kupferteile des Beschlags auf der Außenseite des Tores entsprechen. Die Fugen zwischen den Kupferplatten, welche im Ausschnitt in der Replik der Torinnenseite sichtbar sind, fügen ein neues, nicht von der Museumsarchitektur vorgegebenes Maßsystem ein.
5 Vgl. Warhol, Andy: Oxydation Paintings, 1978, Mischtechnik (Urin) auf Kupfermetallfarbe (synthetisches Acrylbindemittel und Metallstaub) auf Leinwand, in: McShine, Kynaston (Hg.): Andy Warhol. Retrospective. Kat. Museum Ludwig. Köln 1989, S.19,72,346f.,414.
Hofstetter verschränkt in seiner Installation Teile des Umraums, wobei die Grenze der kontextinternen Beobachtersituation durch die Internalisierung des Externen thematisiert wird: Die im Museum installierte Wand wiederholt einen Material(zustand) der Außenseite des Tores in einem Ausschnitt in der Replik der Formen der Innenseite des Tores, dessen Format dem museumsinternen Zugang zum Installationsraum entspricht. Materialien, Zustand, Maße und Formen des Umraums werden von der installierten Wand aufgegriffen, nicht exakt gleichartig, aber ähnlich wiederholt und in einer die Beobachtung der Bezüge im Umraum verändernden Weise kombiniert.
Die Installation provoziert den Beobachter zur Rekonstruktion ihrer modellhaften (und damit seiner) Selbstverortung zugleich im Werk- und Museumskontext: Die installierte Wand bricht durch die Art ihrer Kontextbezüge ihren Standort auf der Innenseite des Kunstmuseums an seiner Außenseite, indem sie Teile der Außenseite nach innen klappt. Das internalisierte Externe funktioniert als "Selbstreferenzunterbrecher"(6): Kunst wird weder in die Lebenswelt überführt noch von ihr strikt ausgegrenzt, sondern an kunstexternen Fremdbezügen wird der Selbstbezug von Kunst gebrochen: Selbst (Selbst/Fremd).(7)
6 Junge, Kay: Medien als Selbstreferenzunterbrecher. In: Baecker, Dirk (Hg.): Kalkül der Form. Frankfurt a.M. 1993, S.112-151.
7 D.A.: Peter Weibel - Polykontexturalität in reaktiver Medienkunst...In: Schuler, Romana (Hg.): Peter Weibel. Bildwelten 1982-1996. Wien 1996, S.38f.,48.
Hofstetter setzt in seiner Strategie der Selbsteinbettung in einen musealen Kontext die vorgefundenen Abweichungen vom Ideal der weißen Ausstellungswände, die Unterbrechungen durch Tür und Tor, ein. Ihren eigenen Standort durch Kontextbezüge problematisierende Kunst hat im museumsspezifischen "weißen Kubus"(8) drei Alternativen: Entweder wird die von weißen Wänden gebildete Architektur durch installierte Wände im Ausstellungsraum wiederholt oder Eigenschaften der kontextspezifischen Störungen der Neutralität des `weißen Kubus´ werden aufgegriffen oder ein unterkomplexes, für sich wenig attraktives Objekt wird als Unterbrecher dieser Neutralität plaziert, was wechselseitige Bezüge zwischen Unterbrecher und Unterbrochenem zur Folge haben kann, die die Neutralität beider aufheben. Letzteres entspricht einer seit der Minimal Art geläufigen Praxis, Interesse weckende Bezüge weniger durch Relationen zwischen Teilen des Objektes als durch seine Integration in den Umraum zu erzeugen. Für Hofstetter scheidet diese Alternative aus, da sie keine Verschränkung aus semantischen und räumlichen Bezügen ermöglicht. Für Repliken von Charakteristika der Museumspraxis entschied sich Hofstetter in "Von allem entfernt/alles beherrschend" im Münchner Haus der Kunst, wo er die Wände einer vorgefundenen Koje in verkleinertem Maßstab wiederholte, während er in "Die Schwelle" Bezüge auf ortsspezifische Störungen der Neutralität bevorzugt. Die Installation "Die Schwelle" verweist darauf, daß sich das Ideal des `weißen Kubus´ nur durch die Integration und Abdeckung von funktionsspezifischen Abweichungen von der Neutralität realisieren läßt: Um isolierte Objekte ablenkungsfrei erfahrbar zu machen, wird in der Museumspraxis Neutralität zum Beispiel durch Abdecken des Tores simuliert.(9)
8 O´Doherty, Brian: Inside the White Cube. Notes on the Gallery Space. Part I. In: Artforum. March 1976, S.24-30.
9 Sol LeWitt hat in seinem Konzept für "Lines Connecting Architectural Points" 1970 Störungen der weißen Wand als vorgefundene Punkte eingesetzt, die Ausführende durch Linien miteinander verbinden sollen: "All architectural points connected by straight lines". (Legg, Alicia (Hg.): Sol LeWitt. Kat. Museum of Modern Art. New York 1978, S.114, Fig.181f.; LeWitt, Sol: All Wall Drawings. In: Arts Magazine. February 1972, S.41(Zitat), Fig.54f.) LeWitt gewinnt aus Störungen ein Verfahren zur Gewinnung überraschender Formen der Wandzeichnung, während Hofstetter die Differenz zwischen musealen Präsentationsumständen und Installation problematisiert.
In “Beutemachen” im Roten Saal des Grazer Palais Herberstein problematisiert Hofstetter die in eine Rokoko-Inneneinrichtung (von Heimo Zobernig) eingesetzten weißen Wände, indem er einen Siebdruck mit einem Foto der verdeckten identischen Wandgliederung vom nicht museal entfremdeten Gelben Saal einblendet. Auch hier verweist Hofstetter auf die Schwierigkeiten, eine Bausubstanz zu gleich zu erhalten (und damit zu musealisieren) und für museale Zwecke im Sinne des weißen Kubus einzurichten.
Auf der vom Zugang für Museumsbesucher abgewandten und dem Tor zur Richard-Wagner-Straße zugewandten Seite der installierten Wand sind sechs fotografische Reproduktionen einer Abbildung zu sehen, die Texte auf Wänden zeigt. Anders als der reale Installationsort war die im selben Raum ausgeführte Textinstallation nie öffentlich zugänglich. Die Abbildung zeigt drei Wände mit einem Text, der, da er die Fenster verdeckt, nur von der geschlossen gezeigten Tür unterbrochen wird. Dem Beobachter der Abbildung der Textinstallation wird zwar kein anderer Beobachterstandpunkt im abgebildeten Raum als der Kamerablickwinkel zugestanden, dafür ist der Kameramann in zwei weiteren Positionen zu sehen: Der Standortwechsel des Kameramannes im Bild konterkariert den real von den Fluchtlinien bezeichneten idealen Standort vor dem Bild.
Der Bildraum zeigt eine mögliche Besetzung der Wände des Realraums, die die Installation ohne Störung und weiß beläßt. Die Besetzung der Wände als Textraum ist im Bildraum - wie in einem Bühnenraum - nur dreiseitig: Indem der Beobachter in der Installation vom besten Standort auf ein Bild des Installationsortes schauen kann und so wie ein Besucher feudaler Theater das Geschehen in einer Guckkastenbühne von einem idealen Standort auf der Tribüne(10) beobachtet , in dem alle Fluchtlinien der Bühnenarchitektur zusammenlaufen, erweist sich die Differenz zur Beobachtersituation im klassischen Theater: Dem Bühnenbild entspricht in "Die Schwelle" nicht ein fiktiver, einen anderen Ort repräsentierender Raum, sondern ein Bild des Realraumes, wie er sich hinter dem Bild befindet. Der Beobachter nimmt in "Die Schwelle" zum Realraum zugleich einen in- und externen Standpunkt ein, wobei der bildexterne Standort eines Beobachters des "Cross Over"-Plakats in den Realraum eingebettet ist, der im Bild zu sehen ist.
10 Graham, Dan: Theater, Cinema, Power. In: Parachute. Juin-Juillet/Août 1983, S.11f.
Die Grenze/Schnittstelle zwischen betretbarem realem und nicht betretbarem Bildraum bildet eine "Schwelle" auf und in der installierten Wand, der umgehbaren "Schwelle". Die zwei "Schwellen" weisen verschiedene Qualitäten auf: die umgehbare, dem Beobachter keinen Standort zuweisende Schwelle im Realraum und die Schwelle zur Bildraumsimulation, die einen idealen Beobachterstandpunkt außerhalb der Simulation impliziert. Während für den Bildraum die Perspektivverzerrungen konstituierend sind, sind sie für die Lesbarkeit der Texte peripher, bestenfalls störend. Der in den Bildraum und mit diesem in den Realraum eingeblendete Text provoziert zur Hinterfragung des Diskurses über Kunst, der Kunstmuseen und damit auch dem Ort der Installation die Bedeutungsfelder liefert. Die Fragmente aus Diskursen über Kunst provozieren dazu, Bild- und Raumerfahrung weniger als unmittelbare denn als über Wahrnehmungs- und Denk-/Diskurs-/Text-"Schemata"(11) vermittelte aufzufassen. Hofstetter stellt die oben bei Magritte angesprochene Problematik der An-/Abwesenheit in der reale Referenten ebenso wie Abbilder enthaltenden Installation über die Frage, wie wir Reales beobachten, und beantwortet sie, indem er Wirklichkeitskonzepte des Beobachters als Basis dessen ausweist, was sich beobachten läßt.
11 Lenk, Hans: Schemaspiele. Über Schemainterpretationen und Interpretationskonstrukte. Frankfurt a.M. 1995, S.27,29,34,51; Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1997, S.144.
Nach Ernst von Glasersfeld ist die "empirische Abstraktion" rückgekoppelt an die konzeptuelle Reorganisation von Vorstellungen der "Objektpermanenz" in "reflexiver Abstraktion" (Ders.: Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt a.M. 1996 (i.O.m.d.T. Radical Constructivism. A Way of Knowing and Learning. London 1995), S.144f.,173-176,194f.), also werden in mentalen Prozessen auch Entwicklungen von Wahrnehmungs-"Schemata" an Denk-"Schemata" rückgekoppelt.
In den Textzeilen im Bildraum folgen hintereinander von Hofstetter gewählte Zitate aus Künstlerstatements, die im "Wegweiser: Kunst für München im öffentlichen Raum 1972-1997" gesammelt und zum großen Teil erneut, in einigen Fällen auch bereits nach Wiederveröffentlichungen, abgedruckt wurden. Hofstetter behält die Reihenfolge der Statements im "Wegweiser", der sie in alphabetischer Folge der Künstlernamen aufführt, bei, gibt aber keine Autorennamen an.
In den Statements erklären die Künstler meist Charakteristika ihres Oeuvres, statt das Projekt zu erläutern, das für einen öffentlichen oder halbprivaten Standort in Münchner Innen- und Außenräumen realisiert und im "Wegweiser" abgebildet ist. Die Zeitpunkte, zu denen Werke und Äußerungen entstanden, differieren teilweise erheblich. Viele Statements sind zu unverbindlich, um das Spezifische eines Oeuvres, einer Werkphase oder eines Werkes bestimmen zu können: So liefern teilweise eher die Abbildungen der Werke Anregungen zur Dechiffrierung der Bedeutung der Statements als umgekehrt.
Die von Hofstetter gewählten Zitate ergeben ohne Künstler- und Werkbezug eine Kette von Diskursfragmenten, die sich auf Bildhauerisches oder auf Malerisches sowie auf Willkürliches oder auf Regeln beziehen. Die Diskursfragmente informieren über die Eigenart der Diskurse von Künstlern, die in München Aufträge für ortsgebundene Werke erhalten: Übernommene Traditionen der Kunstgattungen Malerei und Plastik werden nicht infrage gestellt, sondern aus ihnen werden häufig beliebig einzelne Aspekte herausgegriffen und zur Selbstexponierung eingesetzt. Zwar zitieren die Diskursfragmente des Textraums auch künstlerische Äußerungen, die die Autonomie der Kunst und ihren Weltbezug hervorheben, doch erschließt sich aus dem Zitierten kein schlüssiges künstlerisches Konzept: Es sind austauschbare Sätze aus Künstlertheorien, die sich auf Stellungnahmen in einem gegebenen Diskursrahmen beschränken.(12)
12 Wer meint, daß diese Kritik nicht auf Lawrence Weiners im "Wegweiser" erneut (in einer Fassung, von der d.A. einen Abdruck von 1979 (Rorimer, Anne: 73rd American Exhibition. Kat. The Art Institute of Chicago. Chicago 1979, o.P.) und spätere Wiederholgungen kennt, die aber der "Wegweiser" nach einem Abdruck von 1994 zitiert und den Zeitpunkt der Quelle als Datum angibt) zitiertes, auf Gattungspostulate keine Rücksicht nehmendes, 1969 zum ersten Mal abgedrucktes und später modifiziertes Statement zutrifft, dem widersprechen Art & Language in "Status and priority" (Studio International. January 1970, S.28f.). Die Frage, ob nicht Hofstetter durch die Auswahl von Sätzen aus Künstlerstatements den hier beschriebenen Eindruck erst provoziert, ist berechtigt. Der Schnitt zeigt auf und verändert im Aufzeigen das Aufgezeigte. Das Aus- und das Weggeschnittene zeigt Hofstetter im Katalog zur "Schwelle".
Der in "Die Schwelle" abgebildete Textraum stellt das Problem der Autorenschaft zurück und betont Probleme der "Dispositiva"(13) des Künstlerdiskurses, der in vielen künstlerischen Äußerungen wiederkehrenden, aber deshalb noch nicht schlüssigen Diskursformationen. Nur in einer konzeptuellen Wende, wie sie Mitglieder der Künstlergruppe Art & Language bereits 1966 vollzogen, liesse sich die von Hofstetter aufgezeigte Diskursformation der beliebigen Innenbrechung etablierter künstlerischer Strategien transformieren: Neue kunsttheoretische Ansätze und neue Weisen der Kritik etablierter kunsttheoretischer Positionen wurden von Art & Language(14) als Textwerk, statt als Beiwerk, an Orten präsentiert, die für als Kunstgattungen etablierte Präsentationsformen (wie Malerei und Plastik sowie Zeichnung und Druckgraphik) vorgesehen waren. Hofstetter greift den konzeptuellen Ansatz der Integration des Diskurses über Kunst in die Präsentationsform in seiner Installation eines Textraumes wieder auf, stellt jedoch anstatt eines Metadiskurses ein aus Fundtexten zusammengesetztes, Reflexion provozierendes Modell vor. Joseph Kosuth, in dessen Oeuvre der Relation Konzept/Kontext eine Schlüsselrolle zukommt, setzt in Installationen mit Wandtexten Fundtexte als Elemente eines (vielstimmig gebrochenen) Metadiskurses(15) ein , während in "Die Schwelle" Fundtexte als Kritik provozierender Reflexionsanlaß eingesetzt werden.
13 Deleuze, Gilles: Was ist ein Dispositiv? In: Ewald, François/Waldenfels, Bernhard (Hg.): Spiel der Wahrheit. Michel Foucaults Denken. Frankfurt a.M. 1991, S.153-162; Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit (Interviews). Berlin 1978, S.119-125.
14 D.A.: Art & Language. Kontextreflexive Kunst im Kunstkontext...In: Institut für soziale Gegenwartsfragen, Freiburg i.Br./Kunstraum Wien (Hg.): Art & Language & Luhmann. Wien 1997, S.43-56; d.A.: Konzeptuelle Kunst in Amerika und England zwischen 1963 und 1976. Frankfurt a.M. 1992, S.24f.,295-302, Abb.18.
15 Z.B. Kosuth, Joseph: The Play of the Unmentionable. London 1992.
Aus der Wahl der Kontextbezüge und dem `Wie´ der Kombination der referierenden Elemente läßt sich aus der Installation "Die Schwelle" eine Position ableiten: Hofstetter problematisiert die Relation zwischen Künstlertheorie, Kunstpraxis und ihrer Institutionalisierung, indem er verschiedene Aspekte dieser Relation in der Installation auf räumlichen und semantischen Ebenen zusammenführt. Die Strategie des Aufzeigens der in Paradigmen der Kunstproduktion wie des Kunstbetriebs enthaltenen Konflikte legt vor dem Horizont der von Hofstetter selbst verwendeten Präsentationsformen die Schlußfolgerung nahe, auf Paradigmenwechsel zu Gunsten eines "pardigm-shift-from"(16) zu verzichten und normative Ästhetik wie Gattungspostulate durch Intermediastrategien, durch offene, nicht wieder als Gattung normierte (oder normierbare) Kombinationen von Medien kunstex- und -interner Herkunft, zu ersetzen: Die Form des Mediengebrauchs ist nur soweit relevant, als sie Lesemöglichkeiten als Modell der Beobachtung von Kunst und Welt eröffnet. Das Modell führt die Ausdifferenzierung von Weisen der Beobachtung für Kunst und Welt als wechselseitige Innen/Außen-Brechungen vor, legt aber die Konzeptualisierung dieses Differenzierungsprozesses auf kein Denkmodell fest.
16 Atkinson, Terry/Baldwin, Michael: Some post-war American work and Art-Language: ideological responsiveness. In: Studio International. April 1972, S.164-167.
Das Foto des Textraumes zeigt auch eine Fotosession mit sich bewegenden Models und Fotograf in Mehrfachbelichtung. Die Abbildung des Textraumes mit Modeperformance stellt Hofstetter als Plakat vor, das ein fiktives Symposium mit dem Titel "Cross Over: Kunst & Mode. Intention und Event" ankündigt und mit dem Untertitel "Die Wiedergewinnung von Wirklichkeit durch die Multiplikation fiktionaler Strategien" ein Motto liefert.
Mode und Kunstkontext erscheinen weniger als Gegenmodelle denn als Komplement, da beide von vorcodierten, in den letzten Jahrzehnten kaum gewandelten Grundverständnissen ausgehen. Fotos von Models in auffallender Kleidung und Posen(17) sind in das Foto des Textraumes eingeblendet, als wären sie Schauspieler in den Rollen möglicher Redner eines Symposiums: fiktive Autoren mit scheinbar individuellem, in Wirklichkeit aus vorgefertigten und vorcodierten Elementen zusammengesetztem Äußeren.(18) Kleidungs- und Text-Codes erscheinen als Teil von Diskursformationen, die Bezüge zu Autoren, die an ihrer Entwicklung beteiligt waren, gekappt oder in einem Gewebe aus Verknüpfung, Auflösung und Wiederverknüpfung verloren haben.
17 Kleidung: Carolyn Quarterman. Die goldenen Textzeichen auf roten und schwarzen Gewändern der rechts abgebildeten Models zitieren Zeichen auf Weinetiketten.
Hofstetter nennt die Künstlerin Vanessa Beecroft als Symposiumsteilnehmerin, die Elemente von Modeperformances in ihren Performances mit Actricen zugleich aufgreift und persifliert (Coles, Sadie/Meyer-Hermann, Eva (Hg.): Ein Stück vom Himmel. Kat. Kunsthalle Nürnberg 1977, S.49f.). Beecroft wird nach David Bailey erwähnt, dessen Fotos von Konzerten seit den sechziger Jahren die Stilisierung von Musikern zu Rocklegenden (Rolling Stones, Beatles u.a.) fördern (Bailey, David: Rock and Roll Heroes. München 1997). Anspielungen auf Musik-, Kunst- und Modeperformance belegen das Motto der "Wiedergewinnung von Wirklichkeit durch die Multiplikation fiktionaler Strategien". Die AutorInnen des Symposiums sind so gewählt, daß es HörerInnen aus dem Umfeld Mode und Design wegen sich überschneidender Bedeutungsfelder attraktiv erscheint, kaum aber ein schlüssiges Konzept ergibt.
18 AutorInnen/RednerInnen von Symposien und KünstlerInnen gemeinsam ist das Problem der Wahl einer Form der Selbstdarstellung, die vom Publikum ortbar sein und an seine Erwartungshorizonte anschließen wie die Absicht der Absetzung vom Bekannten signalisieren soll.
Über das "Cross Over"-Plakat sind acht Rechtecken verteilt, die Models in Nahsicht vor Ausschnitten der Textinstallation zeigen. Diese Fotos mit Models vor Werkhintergrund variieren Cecil Beatons Aufnahmen von Models vor Gemälden Jackson Pollocks (Vogue, 1.3.1951. Vgl. Clark, Timothy J.: Jackson Pollock´s Abstraction. In: Guilbaut, Serge (Hg.): Reconstructing Modernism. Art in New York, Paris, and Montreal 1945-1964. Cambridge, Massachusetts 1990, S.173.180,219). Beatons Relation zwischen Pollocks Dripping und Kleider- bzw. Figurenumrissen variiert Hofstetter, indem er auf die steife Positur verzichtet und über die Umrisse hinweg in einigen der eingeblendeten Fotos mit Textzeichen hinter und auf den Kleidern Bezüge herstellt.
Nur wer sich wie die Models als Selbstdarsteller in dieses Geflecht aus Fremd- und Selbstverweisen integriert, hat Chancen, in Datenwelten konkurrierender Informationen und Spektakel wahrgenommen zu werden: als Komposit aus verschiedenen, aber ortbaren und bekannten Quellen, nicht als Subjekt mit eigenen Quellen und Ressourcen. Dieses Komposit kann als Schichtung dezentrierter, fortwährend wiederholter, aber auch verwandelter Quellen (de- und) rekonstruiert werden, was Hofstetter mit Mitteln konzept- und reflexionsorientierter Kontextkunst vorführt. Kontextkunst kann im Geflecht aus Verweisen unausgeschöpfte sowie Restriktionen unterworfene Ressourcen durch ein Wiederaufgreifen der Flechtweise, durch weiter Flechten und durch Ent- und Neuflechtung freilegen, ohne Ursprünge rekonstruieren zu müssen (Die Ursprünge der Quellen sind verloren oder nicht mehr aufschlußreich). Redner eines Symposiums und Kontextkünstler sind zwar auch deshalb in einer Fotograf und Models im Textraum nicht unähnlichen Situation, weil alle kontextinterne Beobachter sind, die den vorhandenen Diskursformationen und Beobachtungsweisen nicht entrinnen können, dennoch ermöglicht die Brechung gefundener Diskursformationen via Fragmentierung Ausblicke auf Transformationsmöglichkeiten.
Es geht Hofstetter weder um eine Rückkehr zur Fiktion einer kontextfreien, von Vorcodierungen unbelasteten Künstlerposition noch um eine Kunstpraxis, die sich auf `als Kunst´ vorcodierte Präsentationsformen beschränkt. Das Dispositiv des von sozialen Rahmenbedingungen unvorbelasteten Künstlersubjekts, das tradierte Kunstformen in Einzelobjekten ohne Bezug zum Präsentationskontext aufgreift oder weiter entwickelt, und dabei einen bestimmten Zuschnitt der Ausstellungsumstände voraussetzt, steht zur Disposition. Eine ortsspezifische Installation eines Modells der Beobachtung verändert bereits die Raumsituation, auf die sie sich bezieht. Diese Veränderung auf räumlicher Ebene kann vorwegnehmen, was sich auf semantischer Ebene mit den zur Re- und Neudisposition gestellten Elementen machen ließe: Die Installationsstrategie von "Die Schwelle" ist bereits Teil einer De- und Rekonstruktion verschränkenden Transformationsstrategie.
Die vorgegebene Raumsituation und die Vorcodierungen zu de- und damit ein Modell zu konstruieren gelingt Hofstetter in einer Versuchsanordnung durch in den gegebenen Kontext eingeblendete räumliche, bildliche und verbale Bezugspunkte. Mit der Einblendung der Bezugspunkte in den Bezugsort ergeben sich diesen transformierende Verschiebungen. Das Modell bricht auf der Textebene Teile aus Diskursformationen, ordnet sie anders an und bezieht in die Vorhandenes exemplarisch brechende Umordnung die Raumsituation ein: Das Werkkonzept, das zwischen sprachlichem Kotext und räumlichem Kontext vermittelt, muß Semantik und Pragmatik sowie Elemente verbaler und visueller (zwei- und dreidimensionaler) Syntax aufeinander beziehen. Das Modell verweist auf ein Konzept, dem immer schon umfassendere als bloß kunstinterne Beobachtung mit in ihr tradierten Weltbezügen zugrunde liegt. "Die Schwelle" ist durch die Innen-/Außen-Brechungen von Tor und Tür im Inneren sowie durch die wechselseitigen Brechungen von Kunst, Mode und Symposium ein kontextspezifisch modifiziertes Modell von "Weltbeobachtung"(19) und zugleich ein bestimmtes Modell von "Kunstbeobachtung".(20) Aus der wechselseitigen Brechung von Welt- und Kunstbeobachtung ergibt sich eine Alternative zum Postulat formalistischer Kunst, Weltbeobachtung auf das geringstmögliche Maß zu reduzieren sowie zu Kunstauffassungen, die Weltbeobachtung als Maßstäbe setzendes Modell für Kunstbeobachtung ausweisen oder Kunstbeobachtung in Weltbeobachtung überführen wollen.
19 Fuchs, Peter: Die Erreichbarkeit der Gesellschaft...Frankfurt a.M. 1992, S.238; Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft, s. Anm.11, S.1114,1118.
20 Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1995, S.227,395f.
Hofstetter hinterfrägt den Installationsanlaß der Vorstellung des kurz zuvor ausgelieferten "Wegweisers" im Lenbachhaus, indem er ein bei Aufträgen für ortsbedingte Installationen in öffentlichen und (halb)privaten Räumen und von Museen bevorzugtes Kunstkonzept problematisiert und setzt zur Hinterfragung Strategien, Mittel und Medien einer intermedialen Kontextkunst ein, die zwar über dieses Konzept hinausführen, aber selbst kein alternatives Konzept explizieren.(21)
21 Mit der Relation zwischen öffentlichkeitswirksamer Rhetorik und Programmatik in der Kunstgeschichte setzt sich Hofstetter in dem Text "Das Gerücht. Der Einfluß des anonymen Publikums auf die bildende Kunst" auseinander, nicht ohne ein Konzept heute möglicher Künstlerstrategien zu skizzieren. Der Text ist als Broschüre zu Hofstetters Installation "vom hörensagen" 1994 in Freilassing publiziert worden (Hofstetter, Michael: Das Fortschreiben..., s. Anm.1, S.82-97).
Die Bezüge zwischen öffentlicher bis (halb)privater Kunst und ihr verwandten Kontexten aus angewandten Künsten provozieren eine wechselseitige Problematisierung der Relation autonom/heteronom. Die Unterschiede sind gradueller Natur, da Relationen und Durchdringungen zwischen Selbst- und Fremdbezug Übergangsformen zwischen angewandten und autonomen Künsten zu realisieren ermöglichen. Spannung zwischen Angleichung an angewandte Kunst in vorgegebenen Funktionen und künstlerischem Gegenmodell, denen sich ein Künstler bei der Selbsteinbettung in den Kunstbetrieb stellen muß, hebt Hofstetter nicht auf. Er zeigt im Vergleich zur Ironie der Pop Art und verspielten Bezügen zwischen Objektkunst und Warendisplay im Neo-Pop der achtziger Jahre (Haim Steinbach, Jeff Koons) konzeptuelle Distanz zu den Reizen der Warenästhetik bei gleichzeitiger Anwendung ihrer Mittel (Graphic Design, Mode, Modeperformance). Diese Problematik prägt schon konzeptuelle und sozialkritische Foto-Texte der siebziger Jahre von Victor Burgin, John Stezaker, Stephen Willats oder Hans Haacke.(22) Hofstetter greift in seiner Plakatgestaltung auf diese Strategien zurück und kombiniert sie mit ebenfalls in den siebziger Jahren besonders von Michael Asher und Daniel Buren ausdifferenzierten Verfahren der Kontextbezüge im Kontext.(23)
22 Beispiele in: Schwarz, Michael/Schmalriede, Manfred: Kunst im sozialen Kontext. Konzeptkunst zwischen Innovation und Forschung. In: Kunstforum. Bd.42/1980, S.17f.,22f.,68-87,110-117,184-212; Stezaker, John: Mundus. In: heute kunst/flash art. Juni-Juli-August 1975.
23 Asher, Michael: Writings 1973-1983 on Works 1969-1979. Nova Scotia College of Art and Design, Halifax/Museum of Modern Art, Los Angeles 1983; Buren, Daniel: Photo-Souvenirs 1965-1988. Villeurbanne 1988; Weibel, Peter (Hg.): Kontext Kunst. Kunst der 90er Jahre. Köln 1994, S.85f.,96f.,114-124,188-191.
Die Hofstetter eigene Lösung ist die Kombination eines Tores-im-Tor mit Strategien des Bildes im Bild zu einer Bild-im-Tor-Strategie - genauer: zu einer Bild(-im-Bild)-im-Tor(-im Tor)-Strategie -, wobei das Innere die Ingredienzien zum Diskurs über das enthält, wofür das Äußere steht. Hofstetter überträgt auf diese Weise das Verfahren der Textpräsentation von Art & Language auf Verfahren der Installation und konzeptualisiert die interne Beobachtersituation, die die Grenze Innen/Außen nur in einem `Innen´ brechen kann, da ein erweitertes `Außen´ wiederum einen Denkrahmen einfordert, der das Erweiterte als `Innen´ enthält: Externalisierung provoziert Reinternalisierung - und Reinternalisierung provoziert eine in Ebenen/Denkrahmen gliedernde Konzeptualisierung. So kann Beobachtung von einem größeren Denkrahmen auf einen kleineren und umgekehrt gerichtet werden.
Eine Theorie der Beobachtung, die jede Externalisierung der Beobachtungsposition als Schaffung eines erneut internen Beobachterstandpunktes in einem weiteren Beobachtungsrahmen reflektiert(24), und jede Beobachterbewegung im Realraum an selbstbezügliche Beobachtungsoperationen in mentalen Konzepträumen ("Polykontexturalität")(25) rückkoppelt, entspricht den Innen-/Außenbrechungen der Installation "Die Schwelle". An der Art, wie das Modellkonzept Raum- und Diskursvorgaben bricht, läßt sich das zugrunde liegende Konzept als ein Weisen der Beobachtung von Kunst und Welt durch "Beobachtung von Beobachtung" beziehungsweise der "Beobachtung zweiter Ordnung" brechendes ablesen, wobei mit der Anerkennung von Kontextabhängigkeit von Beobachtung nicht Möglichkeiten ihrer Reflexion und Transgression aufgegeben werden. Allerdings scheint Mögliches nur implizit auf und wird die Relation real/möglich nicht auf einer Ebene der "Beobachtung dritter Ordnung" (26) expliziert.
24 Rössler, Otto E.: Endophysik. Die Welt des inneren Beobachters. Berlin 1992.
25 Günther, Gotthard: Life als Poly-Contexturality. In: Ders.: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik. Bd.2. Hamburg 1979, S.283-306. Vgl. Fuchs, Peter: Die Erreichbarkeit..., s.Anm.19, S.7f.,10ff.,33,48f.,54-66,81,109,213,228-232; Luhmann, Niklas: Die Kunst..., s. Anm.20, S.60,303,308,485,494f.
26 Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft, s. Anm.11, S.93,144,151f.,374f.,484,606,677,,766ff.,1094ff.,1113,1115,117-1128,1137; Ders.: Die Kunst..., s.Anm.20, S.89,94,102f.,156f.,213,322,333-336,393,463.
Die Relation real/möglich wird durch die Bezüge zwischen Präsentation und Präsentationsumstände aufgezeigt: Die Wiederholungen des mehrfach kontextbezogenen Bildraums mit installationsexternen Referenten bilden eine Struktur, die wiederum Bezüge zum Installationsort anlegt. Der Gliederung der mit Kupfer beschlagenen Außenseite des Tores entsprechen auf der installierten Wand die drei horizontalen Zeilen und die vertikale Mittelachse, welche die Wiederholungen der Fotoabzüge bilden. Das Komplement zum real im Ausstellungsraum möglichen Blick ist der durch das geschlossene Außentor vom Museumsbesucher nur als Möglichkeit rekonstruierbare, aber mit dem Torschlüssel vom Museumspersonal freigebbare Blick von der Richard-Wagner-Straße auf die Installationswand. Im Blick von der Straße auf die geöffneten Torflügel und auf "Die Schwelle" wären die beschriebenen Bezüge auch sicht-, nicht nur erkennbar: Der Nicht-Durchgang als Konzepttor.
Das Foto von Hofstetter, das die installierte Wand hinter offenen Türflügeln von einem Kamerastandort auf der Richard-Wagner-Straße zeigt, verweist auf eine Alternative zur Kunst- und Lebenswelten trennenden musealen Präsentationspraxis: Der direkte Zutritt von der Straße ist offen, die musealen "Schwellen" Foyer, Garderobe, Kasse und Kartenkontrolle fehlen. Außerdem wird der Ausstellungsraum im Bildraum des Plakats zu "Cross Over" mit zum Museum geschlossener Tür gezeigt, was der realen Situation entsprechen kann, auf die vom Beobachterstandpunkt auf der Richard-Wagner-Straße die Sicht von der installierten Wand verdeckt wird. Diese als Möglichkeit angelegte, aber so für die Öffentlichkeit nicht realisierte Präsentation mit straßenseitigem Zugang ohne Verbindung zu weiteren musealen Räumen kann als Denkbild für alternative Kunstkontexte ("Alternative Spaces") verstanden werden. Die Installation "Die Schwelle" verweist auf ein Modell künstlerischer Praxis, das auch Hofstetter praktizieren könnte - kontextbezogene Kunst in museums- oder sogar kunstexternen Kontexten - und thematisiert so ihre eigene Grenze an einer spezifischen, dafür geeigneten Variante musealer Architektur.
Thomas Dreher 1998