Michael Hofstetter
Barbara Spaett
Missverständnisse nicht ausgeschlossen,2010
Lost paradise, need gardensteht auf dem Schild aus Pizzakarton von Barbara Spaetts gleichnamigem Werk von 2005, angeklebt an eine leere Vitrine, die auf einem Tischsockel steht, einem Ready-made, dessen Seitenflächen Verballhornungen des suprematistischen Formenvokabulars aufweisen. Paradiesverkünder Malewitsch trifft auf Paradiesverwalter Duchamp – diese Kreuzung beider Künstler wäre schon ein Werk innerhalb der gängigen Grammatik zeitgenössischer Kunst. Spaett geht noch weiter und klebt einen Pizzakarton mit dem handgeschriebenen HilferufVerlor das Paradies, brauche Gartenan das Objekt. Dieser Karton korrespondiert mit den Bild-im-Bild-Kompositionen an den Seitenwänden des Tischsockels. Beide adressieren eine höhere Signifikantenklasse, die uns in ein selbstbezügliches Referenzsystem führt. Aber wer spricht im Text? Und auf was referiert er? Handelt es sich bei diesem Text um eine Beschreibung dessen, woher das Objekt kommt und wohin es soll? Ist es also so, wie wir es sehen, zwischengelagert zwischen Paradies und Garten? Oder ist das eine metaphorische Aussage zur Stellung der Kunst überhaupt? Oder ein Hilferuf der Künstlerin an die ins Werk geholten Kollegen Malewitsch und Duchamp? Oder an den Betrachter? Die Signifikanten beginnen zu tanzen und werfen je nach Frage ein anderes Licht auf das Werk, stellen es in einen neuen Kontext, und bald fangen alle adressierten Kontexte an, miteinander zu streiten, wo denn nun das Werk zu verorten sei. Spaetts Werke sind wielost paradise, need gardenimmer buchstäblich und zugleich metaphorisch, Signifikat und Signifikant, Element und Klasse, und das alles gleichzeitig, obwohl das in der Lehre der Logik nicht geht, denn eine Klasse kann sich nicht selbst als Element enthalten. In Barbara Spaetts Werken schon. Ihre Werke verrechnen ständig Text und Kontext. Sie sind nicht nur parasitäre Einschreibungen in Konventionen und Werturteile des Kunstbetriebs, die sie im selben Moment wieder preisgeben, sondern sie verhandeln auf subversive Weise die ganze symbolische Ordnung, in der sie erscheinen. So wie ihre Namenspatronin, die heilige Barbara, die aus dem binären System der abendländischen Logik aussteigt und deren Doppeläugigkeit und Doppelsichtigkeit durch ein drittes Fenster in ihrem Turm erweitert, fügt Spaett ihren Arbeiten ein drittes Auge hinzu. Eines, das die ersten beiden aussetzt, aber nicht ersetzt.
Die große Erzählung ist zu Ende. Aber nicht nur wir Betrachter haben das Problem, in welcher Anwaltschaft wir vor ein Kunstwerk treten sollen, auch ein Künstler hat keine fraglos gegebene Rolle mehr, mit der er in die Welt treten kann. Eine Künstlerin noch viel weniger. Alles, was wir haben, ist geborgt aus den Trümmern einer Geschichte, die uns vor langer Zeit die Illusion gegeben hat, die Menschheit würde sich linear entlang einer alles umfassenden Erzählung auf ein gutes Ende hin entwickeln. Aus all diesen Fundstücken basteln wir unsere eigene kleine Geschichte, einen prekären Entwurf, nicht für die Ewigkeit bestimmt, sondern für die kurze Dauer bis zum nächsten Entwurf. Hier treten wir gleichzeitig auf als Priester und Narr und, im Falle von Barbara Spaett, als Priesterin und Närrin.
Spaetts Arbeiten haben sich nie um den großen Text gekümmert, nie um die alles erklärende Geschichte, nie um das epiphane Begehren. Sie wissen, wenn etwas auf den Punkt kommt, dann ist es immer nur der Phallozentrismus einer männlichen Not, der zugunsten des großen Ganzen die Genauigkeit aufgibt.
Ihre Arbeiten haben nur den Raum, den sie erzeugen. Die Zeit, die der Betrachter ihnen geben will. Den Wert, den sie sich selber im Hier und Jetzt generieren. Für sich ist jede Arbeit ein fragiler Entwurf auf einem ungesicherten Terrain und in einer Zeit, die unter Vorbehalt steht. Sie sind, was sie sind, und das ist ihr Geheimnis und die Stelle, wo sie sich vollkommen emanzipieren von der Autorin. Sie oszillieren zwischen Banalität und Magie, Beistelltisch und Altar, Baumarkt und Tempel; sind Requisiten eines Theatrum Mundi, dem selbst der Pathos und das Zelebrieren des Untergangs verloren gegangen sind und damit auch der Text zu dieser Gegenwelt. Wo keine kohärente Welt mehr ist, kann sich auch nichts dagegen verhalten.
Wenn sich Spaetts Werke der Bilder, Darstellungsformen und Strategien aus dem Zeitalter der Letztformulierungen, als die Künstler die Vorhut eines kommenden Paradieses waren, bedienen, dann sind sie immer Attrappen, Versatzstücke, immer Objekte, die ihren Als-ob-Status anzeigen, weil sie das Unsagbare in einer Sprache sagen müssen, die schon längst abgenudelt ist durch die fortgesetzte Inbesitznahme der Welt zum Zwecke der Versicherung des Menschen. Ihre Arbeiten sind eine doppelte Subversion, sie unterlaufen unseren versichernden Blick an den Dingen, und sie schleichen sich ein in eine Verabredung von Sehgewohnheit und Wiedererkennbarkeit, die unter dem Namen Kunst die Arena abgelöst hat und eine Mehrwertmaschinerie geworden ist. Und das nicht erst seit der Losung „Anything goes“. Das wussten zu Zeiten der Moderne schon die beiden Abweichlerinnen Eva Hesse und Meret Oppenheim, um zwei zu nennen, die neben der Omnipräsenz der großen Künstlerheroen wie zwei einsame Lichter aufblinken. Hier sind die „Vorbildnerinnen“ von Barbara Spaett zu suchen. Auch sie verrechneten die Illusion des kommenden Paradieses mit dem verlorenen Paradies.
Spaetts Arbeiten weben einen Text, der alle Zuschreibungen und Einschreibungen seitens eines identitätslogischen Ichs abgleiten lässt oder unter dieses hindurchfließt. Hier erscheint eine leibliche Dinghaftigkeit, die den Blick abweist und ein Schauen einfordert, das eine verkörpernde Stellvertretung, einen wässrigen Austausch, eine Verwandtschaft und Substitution, ein Fließen in Gang bringt. Es sind locker geschürzte, poröse Assemblagen, die mit der Erwartung spielen, aber selbst unterhalb jeder Erwartung und Sensation bleiben. Hier entstehen Bricolagen aus Natur- und Kulturfundstücken, aus Erworbenem und Gefertigtem, die in ihrer radikalen Ausgesetztheit etwas eigenartig Bergendes haben, Einrichtungen sind, in denen sich niemand einrichten kann. Der begehrende und besitzergreifende Blick prallt ab. Geradezu buchstäblich in der ArbeitFutterkrippevon 2009. Ein Metallobjekt in Form und Aussehen einer Tierkrippe. Dort, wo im referenten profanen Gegenstand das Heu liegt, in seiner christlichen Erhöhung das Jesuskind, liegt bei Spaett ein spiegelnder Kubus aus Metall. Anlocken und Abweisen sind auf einfache Weise miteinander verknüpft. Das minimalistische Objekt nimmt alle Heilseinschreibungen auf und bietet in der Zurückweisung, der Spiegelung, einen Ersatz an, der sich wiederum selbst desavouiert. Ein einfacher Gegenstand wird durch eine minimale Veränderung zur existenziellen Metapher seiner selbst: eine Futterstelle, die den hungrigen Blick zurückspiegelt und bestenfalls das Supplement eines narzisstischen Ersatzes bietet, der Betrachter sieht sich selbst mit seinen Blicken. Oder er stiert in eine Unfassbarkeit, wie inO. T.(2009),O. T.(2007),Schwarzer Stern(2006), weil der Schleier selbst zu dem geworden ist, was er verschleiert. Mit Spiegel und Schleier adressiert Spaett das Problem der Darstellung selbst und verweist auf die abendländische Tradition des vera icon, des wahren Bildes. Beide, Spiegel und Schleier, sind Darstellungsformen des Entzugs, einer Sichtbarmachung über den Umweg des Verbergens. An der Unsichtbarkeit begegnet sich der verdunkelnde Blick als seiner eigenen Leerstelle. Hier geht dem Betrachter nur ein Stern auf, wenn er seiner eigenen Blindheit zustimmt und den Dingen als anverwandelnder Leib sich nähert. Hier wird der Gegenstand zum Mitstand.
Wir stehen bei Spaett immer auf der Schwelle zwischen zwei prekären Identitäten. Es ist daher kein Wunder, dass die Pforte ein Thema ist, das sich durch ihre ganze Arbeit zieht. Die Ungewissheit des Objekts trifft auf die Ungewissheit des Subjekts. Ihre Objekte sind Gabe und Gift an den Betrachter. Opfergaben an einen Blick, der immer an ihnen scheitert.
"Die Komplexität der Philosophie ist nicht die ihrer Materie, sondern die unseres verknoteten Verstandes", schreibt Ludwig Wittgenstein in seinenPhilosophischen Bemerkungen. Übertragen auf Spaetts Arbeiten müsste man sagen, die Komplexität ihrer Kunstwerke ist nicht deren Erscheinung, sondern der verknotete Verstand des Betrachters, der sich an ihnen entknoten muss. Die Werke selbst sind einfach und heiter, gelöst von allem Erlösungsanspruch. Poetisch nicht im Sinne einer kitschigen Lebensdekoration, sondern als Ausdrucksform eines Verlorenseins, das nichts einholen möchte, sondern als Synonym für eine spielerische Verschwendung steht.
Michael Hofstetter 2010