Michael Hofstetter
KURATOR = KÜNSTLER?
1994
A Small Show Within An Enormous One
By Roberta Smith
Kassel, Germany. The best thing about "Documenta" the international exhibition of contemporary art that opened here on June 13 is that within its enormous, shapeless mass of artworks a rather good, relatively small show of installation art struggles to be free. One of the bad things - and there are several - is that show is so big and unfocused that it seems to be without standards. Almost any artist working today could have been in it.........
Was hier die New York Times als Zustandsanalyse der letzten Dokumenta beschrieben hat, könnte man heute auf fast jede Gruppenausstellung beziehen: "Nahezu jeder heutzutage arbeitende Künstler könnte in ihr vertreten sein". Diese Analyse sagt weniger etwas über den gleichberechtigten Zugang zu Gruppenausstellungen aus, sondern vielmehr darüber, daß es heutzutage nicht mehr darauf ankommt, welche Qualität das einzelne Kunstwerk hat. Alle könnten ausstellen, ausstellen tun nur die, die unter die Inszenierungsidee des Kurators fallen. Die Frage nach der Qualität des einzelnen Werkes wird beantwortet mit der Quantität der ganzen Ausstellung. 200 Künstler aus 40 Ländern untergebracht in neun Häusern und vielen öffentlichen Plätzen hatten einen Besucherrekord von über einer Million. Dokumenta als Kunstwerk. So lautet der treffende Titel des Kunstforums Band 119. Aber nicht nur die Dokumenta verstand sich als Kunstwerk, sondern auch schon Ausstellungen wie Bilderstreit, Metropolis u.v.a...Das Spektakel wird zum Sinn und Inhalt der Kunst. Verklammern sich die meisten Gruppenausstellungen noch durch ein begriffliches Konzept des Kurators, so bildet die Dokumenta einen Höhepunkt in der Überführung des einzelnen Werkes zugunsten der Gesamtshow. Wie ein autonomes Kunstwerk war diese Ausstellung scheinbar absichtslos und verwoben mit losen sich ständig wechselnden, Bedeutungsfeldern. Die autonome Geste als Gesamtinszenierung. Weniger raffiniert und offensichtlicher sind jene Ausstellungen, die eine kunstgeschichtliche oder kunsttheoretische These vorführen wollen. Und sei es nur die Farbe Blau. Hier dient das einzelne Werk offensichtlicher als Beispiel und Illustration eines Ausstellungskonzeptes. Das Motiv der Reihung und Gruppierung der Minimal Art wird nun angewandt auf die Künstler selbst. Diese bilden zusammen Teilmengen bzw. Schnittmengen, werden motivisch, vom Arbeitsansatz oder in ihrer Themenwahl miteinander verzahnt, voneinander abgesetzt oder kontrapunktisch inszeniert und bilden dann in ihrer Gesamtheit das Kunstwerk Ausstellung.
Wieder begegnet uns hier ein Phänomen, dem wir bisher nur in der Produktion von Kunstwerken nachgegangen sind. Das Bezeichnende setzt sich anstelle des Bezeichneten, der Signifikant anstelle des Signifikats oder, lax gesprochen, der institutionelle Ritus anstelle der Sache. Wieder wird das Spiel des freien Flottierens der Bedeutungen freigegeben. Wieder höhlt sich das Repräsentierte zugunsten des Repräsentanten aus. Der Totalität des Aufführens werden die einzelnen aufgeführten Elemente geopfert.
Theoretische Rückendeckung erhalten solche Themenausstellungen von postmodernen Theoretikern wie Lyotard, Rosalind Kraus, Richard Bolton. Letzten Freitag sind wir der gängigen Begründungsherleitung solcher Ausstellungskonzepte anhand des Aufsatzes "The modern Spectator and the Postmodern Partizipant" von Richard Bolton nachgegangen. Bolton rekapituliert dort den geschichtlichen Hintergrund des Autonomiebegriffs. Dieser Autonomiebegriff basiert auf einer cartesianischen Konstruktion von Auge, Rationalität und Methode. Mittels Deduktion der Sinneswahrnehmung beansprucht diese Konstruktion, soetwas wie ein allgemeingültiger, objektiver Ausweis von Welt zu sein und dient deshalb als Begründung für eine Produktion autonomer Kunst. Wie ich in meiner Einführung zu diesem Semester ausgeführt habe, argumentiert auch Richard Bolton mit Peirce gegen diese Auffassung es ließe sich so etwas wie eine zeitlose Wahrheit erstellen.
Alles, so Bolton, ist spezifisch zeitgeschichtlich und spezifisch örtlich kontextuiert. "Es ist", so schreibt er, "offensichtlich, daß die Ideale keine autonome Existenz haben, sondern von uns errichtet wurden und nicht uns gegeben, und deshalb als autonome Existenz weder realisiert werden konnten noch können. Ihre Reinheit, d.h. ihr Wahrheitsstatus, wie dieser auch immer zu begreifen sein mag, kann nicht überprüft oder bestätigt werden, weil die Manifestationen jedes Ideals notwendigerweise mit der ortspezifischen bzw. zeitspezifischen Erfahrung verbunden sind".
Objektivität ist demnach für Richard Bolton nur die Interpretation eines bestimmten Sachverhaltes aus einer bestimmten Sichtweise heraus. Diese Objektivität sagt weniger etwas über die Wahrheit der Welt aus, sondern vielmehr über den nicht thematisierten Standpunkt dessen, der Anspruch auf eine solche Wahrheit erhebt. Deshalb gibt es für Bolton keinen autonomen Status von Wissen und Kunstwerken. Hier öffnet Bolton theoretisch die Tür eines Relativismuses, der die Unhinterfragbarkeit von Kunst wie die des Künstlers angreift. Gleichzeitig nimmt er auch jeden möglichen Standpunkt des Außens, jede metaphysische Begründungsweise.
Wie wir in diesem Semester gesehen haben, hat dieser Verlust eine fatale Folge. Da die Behauptung, daß alles kontextbezogen sei, wiederum selbst, bei gleichzeitiger Installierung einer Metaebene, objektive Gültigkeit beansprucht, aber selbst notwendigerweise unter ihr eigenes Postulat fällt, also selbst auch kontextbezogen ist, intalliert sich hier eine infinite Dynamik von sich übereinander schichtenden Meta-Ebenen. Konkret sieht dies so aus, daß jede geschriebene Primärliteratur unzählige Literaturen nach sich zieht, die diese Literatur kontextuieren und interpretieren. Auf diese Sekundärliteraturen folgen dann Tertiärliteraturen, die wiederum die Sekundärliteraturen kontextuieren und interpretieren. Dasselbe geschieht in der Bildenden Kunst. Bilder werden über Bilder gemalt über die wiederum geschrieben wird, was wiederum Bilder nach sich zieht u.s.w. Wir haben diesen Selbstlauf des Bezeichnens in Roland Barthes Buch Mythen des Alltags nachgelesen. Das neu erschiene Kunstforum ist hinsichtlich dieser mythischen Strategien in doppelter Hinsicht ein beredtes Beispiel hierfür. Die Offenlegung und Reflektion mythischer Strukturen bewahrt offentlich nicht davon, sie weiterzustricken.
Diese bedeutungstheoretisch sich hierachisierenden Ebenen des Interpretierens sind zwar diskursiv, aber nicht sozial und machtpolitisch gleichberechtigt. Denn diese Ebenen vermitteln sich in reale gesellschaftliche Institutionen zurück oder bilden dort neue Institutionen, wo ihnen entsprechend der bedeutungstheoretischen Hierachie politische und gesellschaftliche Macht zukommt. Konkret heißt das, daß die Institution, welche die höchste Signifikantenebene repräsentiert, die größte Macht hat. Die Rede von der Werbung als vierte Macht im Staat kann hier als Beispiel dienen. Im Sektor der bildenden Kunst verläuft diese Hierachisierung vom Produzent (Künstler) über den Galeristen, dem Kunstverein, dem Kleinkurator, dem Großkurator bis zum Museumsmann. Hier nun bildet sich die Problematik, die wir heute diskutieren wollen. Der Angriff auf die Autonomie des Kunstwerkes war nicht zuletzt ein Angriff auf den ihr eingeschriebenen Machtanspruch: nämlich zu allen Zeiten und überall objektiv wahr zu sein. Diese Dekonstruktion der ideologischen Implikate der autonomen Kunst oder Wissenschaft, schaffte aber gleichzeitig eine Festigung der realen gesellschaftlichen institutionellen Macht über die Funktion des Mythos'.
Der Künstler, so meine These, transformierte sich aufgrund der oben beschriebenen bedeutungstheoretischen Dynamik konzeptuell zum Kurator. Faktisch ist diese Position aber institutionell besetzt. D.h. der konzeptuelle Kurator (Künstler) begegnet einem institutionellen Kurator in der Praxis. Dieser institutionelle Kurator nimmt, weil gesellschaftlich, sozial und pekuniär legitimiert, ein real-hierarchisches Verhältnis zum Künstler ein und füllt gleichzeitig dessen konzeptuelle Rolle bewußt oder unbewußt mit aus. Der Kurator ist von Berufswegen der mit gesellschaftlicher Legitimation versehene Signifikantenersteller des Signifikats Künstler, so wie dieser einstmals, zu einem geschichtlich früheren Zeitpunkt, der Signifikantenersteller des Signifikats Welt war. D.h. konkret, der kontextuelle Künstler muß aufgrund institutionalisierter Riten vom Kurator auf einer konzeptuell niederen Stufe gehalten werden, damit dieser seine gesellschaftliche Legitimierung behält, also nicht arbeitslos wird. Beispiel hierfür ist die Präsentation der Installation von Bruce Naumann auf der letzten Dokumenta, wo die gesellschaftliche und die politische Kontextuierung des Künstlers Bruce Naumann durch die Konfrontation mit einem Fliegenornament von Kogler ins Ästhetische rekontextuiert wurde. Als weiteres Beispiel könnte eine Spekulation darüber dienen, warum Jeff Koons nicht an der Dokumenta teilgenommen hat: Für zwei Strategen der Selbstmythisierung hatte die Dokumenta keinen Platz.
Ich habe heute Dr. Helmut Draxler gebeten, hier mit uns über oben beschriebene Problematik zu reden. Er ist Leiter des Kunstvereins München und verkörpert damit die Rolle des gesellschaftlich legitimierten Kurators. In seinen Ausstellungen thematisiert er meines Erachtens bewußt das oben skizzenhaft beschriebene Problem des konzeptuellen KuratorKünstlers. Herr Dr. Draxler, ich danke für Ihr Kommen.
Herr Draxler könnten Sie sich einen Künstler vorstellen, der in einer künstlerischen Strategie, ihre Position mitreflektiert und im Kunstwerk subsumiert?