Michael Hofstetter

Am Ende der Aufklärung
1992

"Die beiden Hauptstützen der Wahrheit, der Verstand und die Sinne, betrügen sich gegenseitig"(Pascal).

Mit der Fertigstellung des Tractatus logico-philosophicus im Jahre 1921 glaubte Ludwig Wittgenstein alle Probleme der Philosophie gelöst zu haben und wurde Dorfschullehrer. Mit seinem Verfahren, Welt auf ihre Tatsächlichkeit zu deduzieren und diese in ein formal - logisches System zu bringen, nahm er philosophisch vorweg, was vierzig Jahre später in der Kunst unter der Bezeichnung Minimalismus wiederholt wurde. Immer werden in der Geschichte und durch die Geschichte aus Tatsachen Probleme. So auch bei Wittgenstein. Seine später geschriebenen philosophischen Untersuchungen sind quasi die maximalistische Antwort auf sein minimalistisches Frühwerk, dem Tractatus. Dieselbe Wende wiederholte sich in den achtziger Jahren bei den minimalistischen Künstlern, wie Dan Flavin, Donald Judd und Robert Morris . Auch hier fand ein Umschlag von der reinen, entschlackten und puren Form zu einer barocken, komplexen und vielschichtigeren statt.

Dieser parallele Umschlag in Philosophie und Kunst von Minimalismus in Maximalismus ist jedesmal eine Erscheinung eines grundsätzlichen Problems, wie gültige Aussagen über die Welt möglich sind. Die Suche nach dem Kern der Sache, der kleinsten logischen Einheit, nach der Letztbestimmung von Kunst als eine, die sich jeglicher subjektiver und individueller Interessen entledigt hat, ereilt das gleiche Schicksal wie dem makroskopischen Blick auf Materie: Je stärker man scheinbar einfache Dinge fokussiert, um so komplexer werden sie.

Die Suche nach dem logischen Atomismus hat seinen geschichtlichen Grund im 14. Jahrhundert, in der Wende der Bedeutungstheorie zum Nominalismus bzw. zum Sensualismus. Mit zunehmendem Verschwinden des Glaubens an Gott erfuhr der Mensch Welt nur noch über seine Sinne und etablierte damit eine vollkommen subjektive Weltsicht. Fortan versuchte er, seine Gebundenheit an den physiologischen Sehapparat mittels rationaler Deduktion des Wahrgenommenen zu überwinden. Der cartesianische Satz der Selbst- und Weltvergewisserung " Cogito ergo sum" war der berühmteste Versuch hinsichtlich dieses Problems.

All diesen Versuchen ist das selbe Paradoxon zu eigen: das Deduzieren der Sinnesinformation als Methode, als Produktionsweise des Erkennens von Wahrheit konnte sich nur in einer Ideal-Zeit behaupten. Das erstellte Ergebnis galt nur für den Zeitraum der Erstellung. Zu einem späteren Zeitpunkt in der nachträglichen Rezeption schlug das deduzierte Produkt um und wurde wieder komplex. Auf diese Weise standen Produktion und Rezeption immer in einem diametral entgegengesetzten Verhältnis zueinander. Aus dem Minimalismus der Produktion wurde immer ein Maximalismus der Rezeption.

In der Rezeption autonomisiert sich die deduktive Vorgehensweise wieder zu einer komplexen autonomen Einheit. Die rationalistisch entschlackte Sinnlichkeit der Welt wird zu einer höheren Welt in der Welt, die wiederum eine eigene Komplexität entfaltet.

An diesem Paradoxon setzen die Arbeiten von Barbara Probst an. Sie reflektieren das rezeptionsgeschichtliche Moment des Minimalismus, dessen Produktiongeschichte eine vollkommen entgegengesetzte Intentionalität hatte. Trotz ihres minimalistischen Aussehens - klare reduzierte Form, Buchstäblichkeit der verwendeten Mittel und kubenartige Vereinfachung - referieren sie immer auf etwas was scheinbar hinter ihnen, vor ihnen, bzw. in ihnen liegt. Barbara Probsts Arbeiten sind Behältnisse, die nur als ihre eigene Verpackung erscheinen. Wie jede Verpackung haben die Objekte von Barbara Probst zwei Referenzpunkte: einmal das zu verführende Subjekt und zum anderen das zu verheißende eigentliche Objekt unter der Verpackung. Daher sind ihre Objekte Behältnisse, die nichts weiter beinhalten als was sie veräußern. Es sind Grenzobjekte, die zwischen dem Menschen und der Welt stehen.


"Hinter den Vorhängen gibt es nichts als Vorhänge" (Hegel)


An dieser Grenzstellung der Objekte erhält die verwendete Fotografie in ihrem Antagonismus von Realraum/Illusionsraum und Repräsentation/Verführung ihre Bedeutung. Die Fotografie, welche die Objekte mitdefiniert, trennt am Objekt die raumkonstitutiven Ebenen wie innen und außen, "Inhalt" und "Medium" und thematisiert in ihrem Verweischarakter eine Welt, die hinter dem Objekt steht und ein Subjekt, das vor dem Objekt steht. Auf diese Weise verwandelt sich die Buchstäblichkeit des gemeinten Dinges als absolute, unhinterfragbare Setzung von skulpturallem Objekt in eine relative Situation. Die kunstgeschichtlich überlieferte Autonomie minimalistischer Setzungen relativiert Barbara Probst, indem sie die Objekte vollständig in rezeptionelle Produkte und damit in Geschichtlichkeit überführt, und dabei das Geschichtliche am Minimalismus reflektiert.


Auf diese Weise wird der Topos des Minimalismus, der Kubus als atomistische Form künstlerischer Repräsentation, zum Monitor. Barbara Probsts Objekte sind Monitore mit einem Standbild. Das Standbild zeigt nun aber nicht einen Sachverhalt oder eine Begebenheit in der Welt, sondern wiederum nur das Objekt selbst, an dem es angebracht ist. Auf diese Weise schachtelt sich das reale Objekt in der Illusion der Fotografie fort und vollzieht eine gegenläufige Bewegung von Weltreferenz und Betrachterrezeption. Das Filmische bzw. das Raum-Zeitliche der Fotografie entsteht nicht durch eine Bildsequenz, sondern durch die Verwandlung von Innen/Außen, Konstruktion/Fassade. Das reale Objekt erwacht in der Fotografie des realen Objektes, welche selbst Teil des Objektes ist. Die dahinterliegende Welt erweckt dieses Objekt als eines ihr vorgeschaltetes, während der Betrachter sich löscht in seinem Blick auf die Welt durch die Fotografie. Auf diese Weise vollzieht sich eine Bewegung, die dem Öffnen einer russischen Puppe gleichkommt. Das durch die Neugierde ausgelöste Öffnen findet sich immer vor einer neuen Puppe. Hinter den Vorhängen sind nur Vorhänge.


Die Exterieurisierung des Interieurs als ein sich selbst auflösendes Gehäuse


Rationale minimalistische Weltaneignung überführt sich auf diese Weise in eine skeptische Geste der Vergeblichkeit. Der Festischcharakter der autonomen Kunstsetzung wird kurzgeschlossen mit dem Verheißungsprodukt des Kapitalismus, das sich illusionshaft distributiert in Form von Versandkatalogen. Auf diese selbe Weise wie dort Produkte über die Fotografie in die kleinbürgerlichen Wohnzimmer einer demokratischen, anonymen Masse geschickt werden, schickt Barbara Probst ihre Objekte ins Nichts. Keine Kunstrichtung eignet sich besser für eine merkantile Ausschlachtung als die des Minimalimus. Hier pervertierte die reine kontemplative rationale Setzung zum kapitalistischen Tauschobjekt. Nichts erwies sich dafür geeigneter als die demokratische, nicht-hierachische Formgebung, die einstmals als Urform für Absolutheit und damit für Gott stand.

Die zitathafte Wiederverwendung dieser autonomen Urform, wie sie in den Werken von Donald Judd, Sol le Witt, Carl André und Richard Serra konstitutiv verwendet wird, gerinnt in dem gleichen, analysierenden und relativierenden fotografischen Blick, wie Barbara Probst ihn auf ihre eigenen Arbeiten anwendet. Diese Werke nochmals zu zitieren und ihr intendiertes hohes Niveau von Kunst bei gleichzeitiger Analyse der pervertierenden, marktnotwendigen Rezeption in Erinnerung rufen, ist der Versuch, ex negativo jenen Anspruch an Kunst einzuklagen der heute in der Formel "Gut ist was Erfolg hat" unterzugehen droht.

Die Werkreihe "Fotogene Werke" aus dem Jahr 1990 reflektiert diese Tatsache auf´s genaueste. Für diese fotografische Serie sind alle bis dahin gefertigten Arbeiten, alle Monitore, nochmals als Modell nachgebaut worden und mit der Beschriftung "Barbara Probst - Fotogene Werke" fotografiert worden. Die Originalarbeiten wurden zerstört. Die Monitore zeigen sich hierbei nochmals um eine Stufe weiter in die Welt geschachtelt, als Monitor in Monitor-Fotografie. Hier nun werden als Fotografie die Werke beliebig vergrößerbar, distributierbar, transportierfähig und ausstellbar. Sie reflektieren nicht nur die Kunst als variable Tauschform, sondern sind es auch. Die ehemaligen realen Objekte erwachen nun nicht nur in der Welt, sondern auch im Blick des Betrachters, der als Fotografie sich manifestiert. Auf diese Weise reflektiert das Kunstwerk ihre zweifache Möglichkeit des Schal-werdens und des Verfallens: in der Welt und im Menschen. Hier nun etabliert sich eine Zone von Unantastbarkeit, Reinheit und Würde. Sie steht zeitlich und räumlich zwischen dem Ausgeliefertsein an die Welt und an das Subjekt. Dieses sich bildendene und gleich wieder zerfallende Interieur ist der Gegenstand und das Thema der Arbeiten von Barbara Probst. Es ist der unschuldige Zustand des Umschlagens der Dinge zwischen Welt und Ich, Gewohnheit und Plötzlichkeit, Traum und Wach, Außen und Innen, Konstruktion und Fassade, Fortschritt und Verfall, Schein und Sein, Planung und Reklame, Kontemplation und Zerstreuung, Weiblich und Männlich.

Exemplarisch für diesen Umschlag der gegebenen Situation war die Arbeit in der Akademiegalerie. Die dort zu sehenden flachen bühnenhaften Kuben waren so inszeniert, daß die Galerie selbst sich in eine Vitrine verwandelte. Diese Vitrinenhaftigkeit und die Beschriftung der blauen und roten Kästen mit dem Material, der Größe und des Preises verwandelten diese Rauminstallation in eine Verkaufssituation, die den Betrachter in die Position des Käufers und die Werke in die von Waren versetzt. Diese Behauptung von Maß, Proportion, Farbe und architektonischer Setzung wurde überführt in eine flüchtige Situation des Darbietens, Veräußerns und Erwerbens. Das Kunstwerk und sein Schutzraum Galerie wurden auf diese Weise preisgegeben, um jenen künstlerisch unbewußten Prozeß der merkantilen Umwandlung von Kunst in Ware vorwegzunehmen. Trotzdem evozierte diese Installation in ihrer formalen Ortsbehauptung einen Zustand von Kunst, der sich allen Momenten dieser Umwandlung sperrt. Auf diese Weise entand ein Paradoxon, das allen Arbeiten von Barbara Probst eigen ist: Die Behauptung des Ortes in seiner sozialen und architektionischen Gegebenheit ist gleichzeitig seine Preisgabe und eine Überführung in einen Nicht - Ort. Wenn Kunst schon Ware sein muß, so soll es nicht dieser Ort sein - so könnte die Botschaft lauten, die hinter den Räumen von Barbara Probst steht. Hier definiert sich das Gehäuse als soziales, politisches und merkantiles Gebilde in einer bewußt gesetzten Ablehnung. Dies ist die Brisanz dieser Arbeiten in einer Zeit, wo sich vom politischen Prozeß freigesetzte Jugendliche und Erwachsene ideologische Gehäuse bauen, um, diese als Stützpunkt nehmend, von dort aus gegen das Fremde gewaltätig zu werden.