Michael Hofstetter:
ICH FINDE ABER DASS
GIBT ES EINEN GRUND JEMANDEM
SEINE PARTIKULARE SICHT AUF DAS GANZE
IN ABREDE ZU STELLEN

Vortrag auf dem Symposium in Eisenhüttenstadt
Eisenhüttenstadt – Zwischen Modell und Museum
2021

ICH FINDE ABER DASS – dieser Satz ist für Hofstetter der Satz unserer Zeit. Er ist der Einwurf des Subjekts gegen das System. Die Wut und das Aufbegehren gegen Bevormundung. Es ist das Durchbrechen einer unverständlichen Ordnungsmacht mit seinem bloßen Begehren.

Dieser Satz steht gegen ein Ganzes und gegen das Verstehen-Wollen eines Ganzen.

Modelle, die die Welt als Ganzes vorstellen, waren bis zur Moderne für die Kunst und Architektur fundamental. Dieser Totalitätsanspruch findet sich in der Geburtskirche von Bethlehem, den Planstädten Brasilia oder Eisenhüttenstadt und der sozialen Plastik von Beuys. Sie sind Manifestationen eines idealen Zusammenlebens auf einem Raum, der so zum Ort wird. Hierin ist die moderne utopische Stadt mit der Klosteranlage vom Mittelalter bis zum Barock vergleichbar. Ausgehend von seiner Intervention in Eisenhüttenstadt zeigt Hofstetter in seinem Vortrag, warum das Ganze als Stadt- oder Bildentwurf ästhetisch höchst überzeugend sein kann, aber als Setzung für unsere Zukunft nicht funktioniert. Denn der alles überschreibende fotografische Blick entfremdet uns ständig von jeder möglichen Einhausung in ein gelungenes Ganzes. Was aber tun, wenn man die Utopie eines totalen Bezugsrahmens beibehalten möchte, um nicht dem Zynismus der AFD zu verfallen? Hofstetter zeigt in diesem Vortrag die Unmöglichkeit und die Möglichkeit, die über das Ästhetische hinausgeht.

 

 

 

 

 

Symposion 2021

SONIA D'ALTO, LISA ANDREANI, LISA ANDERGASSEN / JAN-HENNING RAFF, DIANA ARTUS/STEFANIE GAUS/VOLKER SATTEL, SAMANTHA FOX, MICHAEL HOFSTETTER, KATHARINA JAHNKE, PATER KILIAN OCist, JULIA KRÖPELIN, PAUL LANDON, SABINE SANIO, VICTOR MUNOZ SANZ, MATTHIAS WARKUS, RALF WERNER, PIOTR ZAMOJSKI

 

Konzeption und Organisation: Niklas Nitschke

Kuration: Niklas Nitschke / Armin Hartenstein

 

Bürger*innengespräche: Natalie Obert

 

Eisenhüttenstadt ist die ehemalige 'erste sozialistische Stadt Deutschlands'. Der Kern der Stadt wurde in den 50er Jahren geplant und gebaut. Dieser Kern ist heute als größtes Flächendenkmal in Deutschland denkmalgeschützt und mittlerweile fast durchgehend saniert.

Der Impuls der Stadtgründung, der Versuch, eine bestmöglich organisierte Gemeinschaft städtebaulich und architektonisch zu formen, wird beim Durchwandern der Stadt deutlich und spürbar. Die Stadt scheint aber mit dem Sozialismus auch ihre Idee verloren zu haben.

Indem die Stadt als Denkmal erhalten wird, ruft das damit erhaltene Bild einer vergangenen Zukunft fast zwangsläufig die Spekulation hervor, wie ein solcher städtebaulicher Entwurf heute konzipiert werden würde: auf welchen Grundlagen, für welche Zukunft. Dieser Impuls ist kräftig, jede Vorstellung muss aber aufgrund des Denkmalstatus Spekulation bleiben.

Die künstlerischen, wissenschaftlichen, philosophischen Beiträge zum Projekt 'Eisenhüttenstadt - Zwischen Modell und Museum' entfalten diesen so anregenden wie widersprüchlichen Zustand eines vergangenen, aber konservierten Zukunftsversprechens.

Die künstlerischen Projekte werden an mehreren Orten in der Stadt präsentiert. Eine Konferenz im Friedrich-Wolf-Theater führt alle Beiträge in einer Diskussion zusammen.

Wo die Anwesenden im Raum einer Stadt sprechen, die ein vergangenes Gesellschaftsmodell verkörpert, erinnert die Diskussion auch an die Stadt als Raum der Begegnung und Aushandlung, an dem eine gesellschaftliche Willensbildung stattfindet.

Hier stellt sich die Frage, wie dieser Raum der Aushandlung heute aussieht, wo er zu finden ist; und auch, ob eine Stadt als Modell einen solchen Raum zur Verfügung stellt.

Niklas Nitschke