Michael Hofstetter: Hamletmaschine, 1995
Podewil Theater
Klosterstraße 68
10179 Berlin
Bühneninstallation, Podewil, Berlin, 1995
Tobias Veit (Regie), André Werner (Komposition)
Konzept
Die multimediale Bühneninstallation geht über die klassische Auffassung eines Bühnenbildes hinaus; sie stellt weder illustratives Verhältnis zum Text her, noch hat sie eine dienende Funktion zur Regie. Das Bühnenbild von Hofstetter setzt selbst den Rahmen und damit die Bedingungen des Spiels. Das Bauen der Bilder wird zum handlungsbestimmenden Moment. Die Abstraktheit der Hamletmaschine von Müller, seine Ort- und Zeitlosigkeit wird zum Thema des Bühnenbildes selbst. Als Eröffnungsbild setzt Hofstetter einen Zeichenhaufen, materialisiert durch bedruckte Holzkuben. Diese Wörterhalde ist die Essenz der Dramen Hamletmaschine von Müller und Hamlet von Shakespaere. Die Dekonstruktion dieser Dramen wird zur Möglichkeit einer Neukonstruktion im Spiel. In diese Freiheit setzt Hofstetter 5 Bilder, deren Auf- und Abbau die dramatische Struktur des Stückes selbst ist.
Grundlage der Installation bilden 48 Kuben mit einem Basismaß von 2 feet. Diese werden auf zwei gegenüberliegenden Seiten mit einem antagonistischen Begriffspaar (z. B. "Ich" und "All") und auf einer dritten Seite mit Textteilen aus der dritten Szene der Hamletmaschine oder der Spielszene des Shakespeareschen Hamlet bedruckt. Zu Beginn des Stückes liegen die Kuben wie Granitblöcke auf einem Gesteinshaufen – teils ineinander verkeilt, teils aufeinander geschichtet, teils lose auf der Bühne verstreut. Dieses Materialfeld zeigt anhand der zu lesenden Begriffe und Textfragmente bereits das Begriffsfeld des ganzen Stückes. Zwei weibliche Schauspieler im Freizeitschick des ausgehenden 20. Jahrhunderts beginnen mit dem Abtragen des Kubenfeldes. Dabei werden sie von zwei Videokameras beobachtet, welche links und rechts vorne an der Bühne angebracht sind. Die von den Videokameras aufgenommenen Bilder erscheinen auf den beiden äußeren Großbildleinwänden, welche (zusammen mit einer dritten Leinwand) den hinteren Teil der Bühne einrahmen. Da sich diese Leinwände ebenfalls im Blickfeld der Videokameras befinden, entsteht ein "closed circuit", der den Raum und das Geschehen ad infinitum verdoppelt. Auf der dritten, mittleren Leinwand erscheint der Text der Szenenanweisung in Form einer Computeranimation. Die Choreographie der Bilderfolge der Leinwände und des Lichts verhält sich zum Text vollkommen illustrativ und damit konträr zum übrigen Bühnenbild. Durch das Umherräumen der Kuben erfährt der Raum mehrere Veränderungen. Erst wird aus den Kuben ein Turm gebaut, auf dessen Vorderseite die dritte Szene der Hamletmaschine zu lesen ist. Auf der nicht einsehbaren Rückseite des Turms erscheint der Text des "Spiel im Spiel" aus der zweiten Szene des dritten Aktes des Hamlet. Der Turm als emblematisches Letztzeichen, als Herrensignifikant, wird zum Projektionsfeld für alle Wünsche und das Begehren des Publikums. Um weiterzuspielen muß auch dieses Letztzeichen eingerissen werden. Aus dem Vatermord entsteht eine Bühne auf der Bühne. Das Spiel geht in der zweiten Ordnung weiter. Drei Sängerinnen, die das bisherige patriarchale Spiel von Außen kommentiert haben, erobern nun auf die Bühne zweiter Ordnung. Sie führen als Kammeroper, als "Spiel im Spiel", den Mord Hamlets im elisabethanischem Gewande auf.Danach werden die drei Großleinwände, die bisher das Bühnengeschehen verdoppelten zu Fernsehern. Das aktuelle Abendprogramm schaltet sich dem Bühnenraum zu. Die Schauspieler werden zu Zuschauern. Damit die Zuschauer sie aber nicht beim Zuschauen sehen wird flugs eine Mauer zwischen Bühne und Zuschauerraum gebaut. Das Publikum sieht zum Schluß des Stückes nur noch sein eigenes, von einer dritten Kamera aufgenommenes Spiegelbild, das von einem Beamer auf diese Projektionsfläche geworfen wird.