Michael Hofstetter: sowohl als auch, 2002

 

 

Galerie Nusser & Baumgart
Residenzstrasse 10
80333 München



Austellungseröffnung: 24. Oktober 2002, 19.00 Uhr
Dauer der Ausstellung: 24. März bis 22. November 2002

 

Pressetext



Was geschieht, wenn wir aus dem Fenster blicken? Schaut uns dann das Leben an oder zimmern wir uns die Welt und den Blick darauf zuvor schon selbst? Oder geschieht etwas ganz anderes? Wo stehen wir mit unserem Rucksack voll von Geschichte, Wissen und technischem Fortschritt auf dem Weg der Suche nach Authentiziät und Wahrhaftigkeit? Was kann Kunst auf diesem Wege sein? Welche Rolle übernimmt der Künstler dabei und welche Möglichkeiten hat er?

Michael Hofstetter (geb. 1961) bezieht sich in seinem Werk auf solch grundlegende Fragen. In dem für Nusser & Baumgart entstandenen Projekt Sowohl als auch kreiert er eine Modellsituation zur Vergegenwärtigung möglicher künstlerischer Bezugnahmen von Selbst und Welt. "EITHER YOU WATCH THE WORLD OR YOU CREATE YOUROWN ONE", schrieb Hofstetter im Jahr 2000 in Spiegelglasbuchstaben auf eines seiner Appartmentfenster in Los Angeles. Either/Or schien zu verlangen, dass der Blick sich zu entscheiden habe: entweder für die Konzentration auf die Innenreflektion des Zimmers und seiner Vorgänge oder für die Aussensicht auf die Welt. Gleichzeitig verweigerten sich die Begriffe ICH und WELT wie auch INNEN und AUSSEN einer Trennungsschärfe und begannen zu oszillieren.

Das Installationsphoto von Either/Or begleitet den Weg des Ausstellungsbesuchers zur Rauminstallation "Sowohl als auch" in den Grünen Salon des III. Stocks der Residenzstraße 10, Präsentationsraum des klassischen Gregor Nusser Kunsthandels und reserviert für Gemälde des 18.-20. Jahrhunderts.

Either/Or entpuppt sich als Kernstück für Hofstetters künstlerische Fragestellungen, denn auch in der Rauminstallation kreist er um die Pole ICH und WELT, INNEN und AUSSEN. "Sowohl als auch" ist ein interagierender Kosmos aus zwei sich gegenüberstehenden Zeltarbeiten mit den Titeln Meine Welt und Reservoir, der Befremden und Fragen hervorruft. Für den Künstler handelt es sich um „zwei in Verfahren und Erscheinung unterschiedliche Manifestationen der grundlegenden Möglichkeiten des künstlerischen Tuns – Selbstbeschäftigung des Künstlers oder Fremdbeschäftigung mit Welt – , die gleichzeitig durch ihre Gegenüberstellung in einem musealen Raum zueinander in Bezug gebracht werden". „Meine Welt (für Sigmund)", eine Arbeit Hofstetters aus dem Jahr 1998, besteht aus einem lila farbenen Firstzelt, dessen Eingang durch ein Großdia verschlossen ist. Statt also einen Zugang in das Innere des Zelts zu erlauben, trifft der Betrachter auf ein medial vermitteltes Bild, das den Künstler im Zelt onanierend darstellt, neben ihm ein aufgeschlagenes Männermagazin mit entsprechenden Illustrationsphotos. Neonröhren im Innenraum dienen als Lichtquelle für das Großdia, unterstreichen die Konturen des Zelts und verweisen auf die äußere architektonische Form dieser leuchtenden Behausung.

Aufgedruckt auf das silbrig schimmernde Überzelt, gleichsam als Kommentar und Denkanstoß, fällt ein Textblock mit Worten Sigmund Freuds ins Auge. „Das sexuelle Verhalten eines Menschen ist oft vorbildlich für seine ganze sonstige Reaktionsweise in der Welt ..." beginnt das Freud-Zitat und erweckt Empörung oder vielleicht ein Schmunzeln - in jedem Fall fordert es den Lesenden zur kritischen Überprüfung des Inhalts am eigenen Werte- Wissens- und Erfahrungshorizont heraus. Gedankenstränge und Bilder beginnen sich zu einem Netz von Bedeutungen, Assoziationen, Ideen zu verweben, Interpretationen bieten sich an. Zugleich beginnt Meine Welt mit der gegenüberstehenden Zelt-Arbeit, Reservoir, zu spielen.Reservoir, das zweite Zelt der Rauminstallation, entstand direkt im Grünen Salon. Fotopapier bildet die fragile Außenhaut des Igluzeltes, auf das nicht nur der Ausstellungsraum mittels eines Camera-obscura-Verfahrens projiziert wird, sondern auch die an den Wänden hängenden Ölgemälde aus drei Jahrhunderten, meist Landschaftsbilder ebenso wie die Fensterausblicke auf die gegenüberliegenden Fassaden. Der Ausstellungsbesucher begegnet im festgelegten Ausstellungsraum einem genuin mobilen Zeltkörper, auf dem Lichtspuren ein seitenverkehrtes, kopfstehendes Bild des fixen Raumes mitsamt der darin befindlichen Bilder und
Ausblicke eingeschrieben haben. Ein Raum im Raum oder besser auf dem Raum? – Wo ist hier innen und wo aussen, wo ich, wo Welt? Was ist wahr und was Fiktion? Hofstetter bietet in seinen Arbeiten vielfache Bezugsmöglichkeiten an, doch läßt er sie sich dann in der unendlichen Weite aus Gedanken, Ideen und Bedeutungen frei entfalten, eine Freiheit, die ein Kunstwerk auszeichnet.

Julia Lachenmann