Michael Hofstetter: Woran arbeiten Sie gerade?

 

RUZICSKA///WEISS
Galerie für zeitgenössische Kunst
Ackerstr. 125/// 40233 Düsseldorf
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Öffnungszeiten: Di.-Fr. 11-17 Uhr, Sa. 14-17 Uhr

 

 

Austellungseröffnung: 3. September 2005, 18 Uhr
Dauer der Ausstellung: 3. September – 7. Oktober 2005

 


Pressetext



Die Arbeit "Tempel", die Michael Hofstetter in den vorderen Raum gestellt hat, durchläuft drei Phasen und zeigt sich in mehrfacher Hinsicht als ein Objekt des Übergangs: Zunächst definiert es als einfacher Gegenstand, der einen Raum umschließt, eine Grenze. Etwas hört auf, anderes beginnt. Die Grenze ist jedoch nicht absolut, sondern durchlässig, permeabel. Will man sie passieren, muss man mit dem nächsten Schritt die Ebene wechseln, gerät man vom Gehen ins Schauen.
Der Satz oder die Frage "are you working on anything else right now?", die den "Tempel" zum Sprachturm verschachtelt und die Außenwand des Objekts bildet, rhythmisiert Wort für Wort seinen architektonischen Aufbau, schneidet es nach allen Seiten hin auf. Schrift und Buchstaben öffnen das Objekt und tragen eine Linie ein, die den Gegenstand transformiert. Lokale Bestimmbarkeit von "hinten", "vorne" oder "neben" geht über in eine räumliche Unterscheidung von "drinnen" und "draußen". Und weiter: An der Grenze, die diskrete Einheiten voneinander trennt, situiert sich eine Schwelle, an der verschiedene Ebenen aufeinander stoßen, sich kreuzen und mischen. Anschauungen durchdringen das Objekt, Gespräche treten ein und wieder aus, vermengen sich. Blicke treffen aufeinander. Wörter. Die Schwelle markiert einen Übergang, an dem es unmöglich wird, zu unterscheiden. Ein Übergang von "Innerhalb" und "Außerhalb", vom Harten zum Weichen, vom Gegenstand zur Information, vom Objekt zum Subjekt.
Als nicht abgeschlossener Gegenstand, als Brückenstück sich öffnender Räume und Ebenen, erweist sich das Objekt jeweils zu sich selbst verschoben. Es öffnet und verschließt zugleich, definiert eine Linie, eine Seite, eine Kante und hebt sie wieder auf. Es spricht, lädt ein und bleibt doch stumm und schließt aus. Die Stabilität des Objekts entspricht der Labilität der Beziehungen, die an ihm zusammenlaufen. Was der Gegenstand eröffnet, nimmt er zurück. Paradoxe Bewegung. An der Schwelle, wo die Mischung am dichtesten ist, scheint das Objekt die Möglichkeit des Übergangs, den Wechsel der Räume und Ebenen, wie selbst zu besetzen und einzubehalten. Als ginge es darum, seine Brückenfunktion überzuerfüllen, entledigt das Objekt sich seiner Funktion, wird zum Absorbativ seines eigenen Auftritts. Dingpassage.

Was ist passiert? Wo immer wir auf Gegenstände stoßen, verwandeln wir sie in Sprache, in Beziehungen und Bilder. Wir suchen das Objekt nicht, wir benennen es. Der umgekehrte Weg macht Angst, scheint schwierig, unmöglich. Die Frage ist, ob zwischen der materiellen Härte des Dings und der logischen Sanftheit des Codes ein Unterschied besteht, der außerhalb der Sprache liegt.
Aber gibt es ein Datum, das außerhalb der Sprache ist? Jede Beschreibung einer Sache eröffnet eine Gegebenheit, die im Verhältnis zu der benutzten Sprache liegt. Gibt es ein Austreten? Oder hat sich der Gegenstand aus der Asymptote des Gesagten zurückgezogen?

Der Ort des Sprechens ist nicht der Ort der Sprache, der des Träumens nicht der Bilder. Bildloser Traum, traumloser Schlaf.

Das Bild "Künstler bei der Arbeit", welches als Fotografie im Büro der Galerie zu sehen ist, zeigt ein Gespräch im Atelier des Künstlers. Fünf Personen sitzen an seinem Arbeitstisch. Szene eines Künstlergesprächs mit Marelene Negro und Klaus Scherübel. Worüber wird gesprochen? Was wird verhandelt? Seitlich zum Foto hat der Künstler ein schachtelartiges Holzobjekt installiert, an dessen Frontseite die Fotokopie eines Bildes klebt. Wieder an einem Tisch, diesmal in einer Bibliothek, sieht man einen Künstler, hier Andreas Hofer, sitzend über ein aufgeschlagenes Buch gebeugt. Ein aus der Box geschnittenes Oval, das an eine Denkblase erinnert, schwebt über der Szene. Ein Text schimmert durch, der auf der Innenseite des mit orangefarbenen Papier ausgekleideten Objekts steht: "Wo nur finde ich eine Theorie für meine Obsession".

Die Installation "Arbeitstisch" im kleinen Raum zeigt den Arbeitstisch von Michael Hofstetter, der auch auf dem Foto zu sehen ist. Die Szene auf dem Bild hat der Künstler in den Tisch eingeritzt. Der Tisch auf dem Bild wird aus den Beziehungen, die sich um ihn herum ansiedeln, aus dem Gespräch herausgenommen, von den Personen, die ihn besetzen getrennt und als Objekt in den Raum gestellt. Wie schon im "Tempel" zeigt sich der Gegenstand zu sich selbst verschoben und taucht hier in verschiedenen Formen auf. Transformation. Am vorderen Ende hat Hofstetter das Wort "POLEMOS" aus der Holzplatte herausgeschnitten. Das Wort verweist auf einen Entwurf des Künstlers für die Bundesgartenschau Potsdam 2001 und bedeutet übersetzt: Krieg, Kampf, Streit.

Das ausgeschnittene Wort verweist in seiner Form auf die Arbeit "Tempel", der Tisch im Ganzen auf das Künstlergespräch und das Wandobjekt. Dergestalt treten die drei Ausstellungsräume miteinander in Beziehung zueinander. Das negativ in den Arbeitstisch eingeschriebene Wort "POLEMOS" gleicht einem blickdurchlässigen, unsichtbaren Band, das die Arbeiten miteinander verbindet. Es stellt Zusammenhänge her, stiftet Beziehungen und löst sie wieder auf. Jeder Gegenstand steht mit den anderen und mit sich selbst im Widerstreit und bleibt so in ständiger Bewegung.
Man muss einen schwierigen Gedanken denken, der die Identität erschüttert.

Man ist hier und nicht hier und, jetzt und in der selben Hinsicht dies oder das, aber wenn man es sagen soll, dann muss man es positiv spüren oder wissen. Oder mehr noch: wenn man es verspricht oder schreibt, spürt oder weiß man es mit aller Gewissheit. Fließende Identität. Aufgeweckt, bei sich, herausgerissen aus der Hülle der Sprache, aus der Beobachtung gezogen, wie das Schwert aus der Scheide, Augen und Ohren öffnend, durch die Luke des Selbstverständnises auf die Leerseite hinaustretend, draußen stehend, angespannt, präsent, wach, extern. Das meint das Wort "POLEMOS." Noch während die Haut sich sträubt, sieht man, als ginge es um Freiheit oder Untergang, sich zur Entscheidung gezwungen, was als nächstes zu tun sei.

Die Abweichung vom Identitätsprinzip lässt keinen anderen Ausweg zu als den in die Phantasie, die Legende, die Fabel. Die Gegenstände, die Hofstetter zeigt, scheinen das zu wissen. Dort Objekt von Bezügen und Markierungen, dann wieder Ferne, ohne Bezug und ohne Markierung. Zuerst sicher, dann ausgeliefert. Sie brauchen keinen eigenen Eingang in die Sprache, bilden Chimären an einem unmöglichen Ort.

Verloren, in durchsichtige Luft aufgelöst, in ihren Nuancen verfließend. Rauch steigt auf. Zwischen Klarsicht und Blindheit verschwimmt und verliert sich der Blick in einer milchigen Wolke. Irgendwo unterhalb der Dinge und hinter oder jenseits der Schwelle der Sprache existieren ein unsichtbares Feuer, eine Kraft, die durch die Ritzen und Zwischenräume der Sprache dringen, durch die Lücken der Gegenstände mit aller Wucht hervorzutreten vermögen. Ein Wind, ein Strom, der durch die Trennwände und Filter hindurchtritt, der uns erzittern lässt, uns abwirft, wie den Reiter vom Pferd. Schnell, einfach und unmissverständlich.

Bernd Ruzicska