Michael Hofstetter, No Way Out, 2014
Center of Contemporary Art,
Tbilisi, Georgien
Rhythm Section
Eröffnung, 05. 09. 14, 19:00 h
Dauer der Ausstellung, 05. 09. – 19. 09. 2014
Essay: Dr. Shiva Lachen
"No Way Out" zeigt buchstäblich den eigenen Abfall als symbolischen Müll des abendländischen Erbes. Über den Fenstern des Ausstellungsraumes inszeniert Michael Hofstetters Fotofries eine fragwürdige Alternative zur Aussichtslosigkeit auf die reale Stadt. Fenster und Fotografie konkurrieren als Ausblick auf reale und symbolische Welt, teilen sich in Hier und Überall. Dieser Gegensatz von Augenblick und Ewigkeit, von Ereignis und Archiv ist – pathetisch gesprochen – die geschichtsphilosophische Matrix für das Paradoxon von Rhetorik und Terror, aus der keine Kultur so einfach herauskommt. "No Way Out" fragt nach dem Sinn eines Fortschritts durch ständigen Paradigmenwechsel. Fragt aber auch nach den Möglichkeiten einer Kunst jenseits von Zerstörung und Neubeginn. Einer Kunst, die nicht durch Einspeisen revolutionärer Vorbilder Widersprüche schafft, sondern sich in die eigenen Widersprüche einschreibt und uns vorführt, wie eine Problembewältigung "im Normalzustand" gelingt.
In "No Way Out" schreibt Michael Hofstetter RHETORIC TERROR an die Wand des Zentrums für zeitgenössische Kunst in Tiflis im Jahr 2014. Die Buchstaben werden aus Proofs – Probestreifen – geformt, die das Fotolabor ihren Kunden anbietet, damit die Feinabstimmung der Farben vorgenommen werden kann. Probestreifen sind temporäre Bilder, die nach Fertigstellung des endgültigen Bildes keinen Wert mehr haben, also weggeworfen werden. Auf den gezeigten Probestreifen sind lauter Motivfragmente zu sehen, die wie der Schriftzug RHETORIC TERROR um die Frage einer Kunst jenseits der Dialektik von Tradition und Avantgarde, Zerstörung und Neugeburt kreisen – ein Feld, das Michael Hofstetter seit 30 Jahren erforscht. Schon der erste Proof stammt von einer Fotografie, die als Selbstanzeige funktioniert: "Michael Hofstetter: Theorie der Geister". Auf dem letzten Probestreifen sehen wir den Künstler selbst, der eines seiner Kunstwerke beschießt.
Die Kräfte des Neuen und der Tradition, der Veränderung und des Beharrens, stehen in der Kultur des Westens in keinem Dialog. Keine wechselseitige Befruchtung lässt eine evolutionäre Zukunft entstehen, sondern das Neue ist gegen das Alte erkämpft. Die Erneuerung kommt als Einschlag des Blitzes, als plötzlicher, radikaler Umbruch. In die kollektive Gewohnheit des alltäglichen Lebens bricht unerwartet ein Underdog ein und stellt als messianisches Genie die Normalität seiner Zeit auf den Kopf.
Diese Figur hat ihr historisches Vorbild in Sokrates. Seine Rezeptionskarriere vom Edelpenner zum Architekten des Abendlandes zeigt ihn als radikalen und kompromisslosen Diener der Wahrheit, auf den sich alle kommenden Revolutionäre beziehen werden, ob in Religion, Kunst, Wissenschaft oder Politik: Jesus, Müntzer, Luther, Dürer, Rameaus Neffe, Robespierre, Marquis de Sade, Schopenhauer, Nietzsche, Raskolnikow, Kirchner, Cocteau, Lenin, Stalin, Hitler, Schwarzkogler, Beuys, Baader und Nachfolger.
Das Szenario dieses Modernitätsmaschine ist einfach: Der Gewohnheit, in der sich der Geschmack verfeinert hat, steht ein revolutionäres Genie gegenüber, das, um die Welt in Wahrhaftigkeit neu beginnen zu lassen, den Geschmack ausmerzen muss. Denn jeder verfeinerte Geschmack tendiert dazu, zu einer sich selbst feiernden Rhetorik zu werden, die zunehmend den Bezug zur Wahrheit zu verlieren scheint. Diese Verblendung kann nur Terror durchschneiden, um die Wahrheit dahinter aufscheinen zu lassen. Rhetorik und Geschmack stehen Terror und Genie gegenüber. Tragischerweise wird der durch das terroristische Genie hergestellte Nullpunkt im Laufe der Zeit wieder überformt und Terror durch Rhetorik zivilisiert. So wird jedes geschmackszerstörende Genie stilbildend und wieder vom Geschmack eingeholt. Aus diesem Circulus vitiosus gibt es kein Entkommen – no way out. Es sei denn, das radikal Neue wird zur totalitären Diktatur und die Terrorrhetorik permanent. Heilsdiktaturen brauchen Terror als Dauerzustand. Wenn man nicht auf radikale, einfache und laute (Schein-)Lösungen verzichten möchte.
Die Verwendung von Proofs für Hofstetters Fotofries koppeln den revolutionären Akt des Bildermachens an einen rhetorischen Akt des Beurteilens und Optimierens. "No Way Out" reflektiert nicht nur das eigene Tun in der gegebenen symbolischen Ordnung der westlichen Welt, sondern stellt diese abendländischen Matrix auch in einem Land aus, das sich in einer fundamentalen Krise befindet. Einer Krise, die nicht zuletzt aus der Hinterlassenschaft der kommunistischen Herrschaft resultiert. Denn Tiflis steht als Geburtsort Joseph Stalins – der übrigens auch das dortige Priesterseminar besucht hat – nicht nur symbolisch für das gescheiterte Paradies; es bezeugt auch ganz real als städtebauliche Ruine die Zerstörung einer einst reichen und selbstbewussten bürgerlichen Handelsmetropole. Auf den Trümmern der Geschichte wuchern Turbokapitalismus und religiöser Fundamentalismus. Und die Künstler träumen davon, wie Jean-Michel Basquiat zu malen und den Kunstmarkt zu erobern.
Die Ausstellung "Zeitgeist" 1982 in Berlin stellt die Figur des revolutionären Künstler-Messias in den Mittelpunkt. Aber keinen Erneuerer, sondern einen Beender. Einen Messias wie Basquiat, der keine Utopie verkündet, sondern eine Dystopie. Schein und Schock sind hier die zentralen Begriffe, Rhetorik und Terror nicht Gegensätze, sondern Geschwister. Nicht länger ist Terror der Schock, der den Schein der Rhetorik durchstößt, um eine dahinter liegende Wahrheit offenzulegen, vielmehr potenzieren sich Schein und Schock zu einem Exzess von Geschmacklosigkeit und Grauen. Dass diese dunkle, satanische Kehrseite des Fortschritts –die dem Messianischen von Anfang an eingeschrieben ist – sich 1982 am Ende des Jahrhunderts der gescheiterten Utopien so schonungslos und unkaschiert als letzte Wahrheit zeigt, ist nicht zuletzt Ausdruck eines Bewusstseins dafür, dass die Kunst ihren Wert nur noch darin hat, Ware zu sein. Eine Ware, deren einzige Intention es ist, zu verführen, und dafür auch im tiefsten Dreck ihres eigenen Versprechens wühlt.
Der revolutionäre Motor der Geschichte, Nietzsches "Die Umwertung aller Werte", hat Bilder und Symbole erzeugt, die heute zu Devotionalien und Fetischen eines libidinösen Begehrens geworden sind, weil sie den Kitzel von Übertretung haben und gleichzeitig Geld bringen. Martin Kippenbergers "Ich kann beim besten Willen kein Hackenkreuz entdecken" zeigt nicht nur, wie Bilder des Terrors in Bildterror umschlagen, sondern auch die lustvolle Scheinheiligkeit des Kunstbetriebs, mit der Geschmacklosigkeit zu spielen und dabei Geld zu machen.
Aber vielleicht ist das die beste Utopie: Dort, wo radikaler Neubeginn und Untergang einer degenerierten Zivilisation nicht mehr stattfinden muss, sondern Votivbild bleibt. Votivbild einer nie eingetretenen und nie eintretenden Katastrophe. Weil die einzige Realität eine postapokalyptische ist, in der alles zum Zeichen wird und alles ein Tauschgeschäft ist. Deshalb gibt es nach den Neuen Wilden immer noch Neuere Wilde und die Genealogie wird nicht aufhören, weil das Geschäft so gut läuft. Der einzige Untergang, der eintreten kann, ist der Verfall des Preises für die Bilder der Avantgarde. Der Wechsel der Geschichte ist nicht nur in der Kunst zum Auf und Ab der Werte an der Börse geworden. Der Künstler, einst Johannes einer paradiesischen Zukunft, ist heute das Rumpelstilzchen einer gierigen Gesellschaft. No way out?
In "No Way Out" erscheint jeder Ausweg als Irrweg. Der Fries versammelt Spuren und Fragmente einer Hinwendung zum Gegebenen. Zum Nahen und zum Fernen, zum Unmittelbaren und Vermittelten. Er lässt diese odds and ends wie sie sind, mit all ihren Unvereinbarkeiten und Widersprüchen. Der Künstler spielt im und mit dem Feld der eigenen Tradition, auch mit der Modernitätsmaschine von Entwertung und Aufwertung. Er ist dabei nicht nur passiver Vollzieher, er legt die Grammatik dieses Spiels offen und stellt sie zur Disposition. Ohne mit einer genialischen Lösung zu verführen. Die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten unserer kulturellen Tradition bleiben nebeneinander stehen. Bleiben in "No Way Out" Spuren, die zwar alle denselben Autor haben, ihn aber nicht zum Schlüssel seines Werkes machen. Nicht der Autor vereinigt die Bruchstücke, sondern der Schriftzug RHETORIC TERROR. Dieser beschreibt, wie ich hier skizziert habe, den Problemhorizont der gezeigten Bildtrümmer. So wird "No Way Out" zu einem sich selbst impfenden und erhellenden Gebilde, das sich viral in den materiellen wie geistigen Raum fortschreibt und wunderbare Schleifen bildet. Eine ins Unendliche erblühende Arabeske.
Dr. Shiva Lachen, 2015