Michael Hofstetter, Inverted Paradise, 2002 mit Ulrich Königs

 

 

Inverted Paradise 2002

ein gemeinsames Projekt von
Michael Hofstetter; München
Ulrich Königs, Köln

im Projektraum Mathias Kampl, Berlin

im Rahmen der Ausstellung
"Rethinking: Space, Time, Architecture, 2002, Berlin

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Inverted Paradise radikalisiert die innen-außenräumlichen Ebenen des Projektraums Mathias Kampl in der Auguststraße 35 in Berlin. Der Raum hat zwei Schwellen von außen nach innen. Die erste Schwelle – ein zweistufiger Treppenblock mit vollverglaster Öffnung – bildet eine weiche Trennung von Galerie und Straße. Eine zweite, harte Schwelle trennt den vitrinenartigen Hauptraum der Galerie von ihren hinteren Räumen: eine frei im Raum stehende, etwa ein Meter hohe, massive Treppe.  zeichnung

Inverted Paradise verstärkt die Zwischenstellung des Galerieraums zwischen Stadtraum und Wohnraum, zwischen öffentlichem Raum und privatem. Die Transformation der Galerie in einen Garten erweitert den Außenraum in den Galerieraum hinein. Die Wahl des Vorbilds – ein mittelalterlicher Klostergarten, der Hortulus des Abts der Insel Reichenau Walahfrid Strabo – verwandelt das erweiterte Außen dabei zugleich in einen Ort der Innerlichkeit. Diesen hortus conclusus faßt ein Gebäude ein, das in Form eines zeitgenössischen Entwurfs eines Einfamilienhauses dem verinnerlichten Äußeren des Gartens eine veräußerte Innerlichkeit gegenüberstellt.

Über die bildliche Einbettung von Architektur und Garten in den Galerieraum entsteht ein intensives Zusammenspiel zwischen diesen drei Elementen, so daß sich trotz oder gerade wegen des spezifischen Charakters der Einzelelemente übergeordnete, abstrakte Bedeutungsebenen erschließen, die sich erst in der Vorstellungswelt des Betrachters konkretisieren.

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Inverted Paradise wird durch eine Überlagerung von realräumlichen Gegebenheiten mit illusionsräumlichen Konstruktionen hergestellt. Der mittelalterliche Garten und die ihn einfassende Architektur werden in einem zweidimensionalen all over unterschiedlicher Darstellungsverfahren – Drahtmodell, altmeisterliche Malereizitate, Linienillustrationen und abgeleitete Outline-Ornamentik sowie Typographie – zur Erscheinung gebracht. Dieser Repräsentationshybride verschmilzt mit den realen Raumelementen – Schaufensterscheibe, Treppe und Tür an der Rückseite der Galerie – und verwandelt diese in poetische Symbole. Eine Symbolik, die sich mit der hohen semantischen Aufladung von Architektur und Garten verbindet. Bild2 
Inverted Paradise setzt sich an die Leerstelle der Galeriearchitektur und verwandelt diese in ein aktuelles Modell von Haus und Garten. Das Bild des mittelalterlichen Klostergartens ist Ausdruck einer radikalen Konzentration auf das Subjekt und seine Möglichkeiten innerhalb der kosmischen Ordnung. Diese Rückzugsbewegung nimmt der nichteuklidische, amöbenhafte, wuchernde Gebäudekörper auf, ohne jedoch mehr auf einen verbindlichen Sinnhorizont verweisen zu können. Durch die Verknüpfung einer zeitgenössischen Architekturform und eines mittelalterlichen Idealmodells entsteht eine neue kanonische Verbindung von Subjekt und urbanem Kontext.   Bild3
Der Plan ist eine Variation eines Typs, der so oder ganz ähnlich den idealen Vorstellungen eines umschlossenen Gartens (hortus conclusus) zur Zeit des karolingischen Mittelalters entspricht. Die ihn umgebenden Mauern kann man sich durch Bögen und Säulen gegliedert denken. Auffallend sind die großzügigen Wege zwischen den Beeten, vor allem die breitere Mittelachse. An ihrer Front wachsen zu beiden Seiten Lilien und Rosen, die beiden wichtigsten Pflanzen, deren symbolische Bedeutung ihrer Schönheit entspricht. Zwischen Rose und Lilie kann man sich an der Mauer am Ende der Achse einen gestalteten Abschluß vorstellen. Zu den Pflanzen, die nicht nur als nützlich und bedeutungsvoll, sondern auch als besonders schön empfunden werden, gehört die Schwertlilie (gladiola). Am Eingang leuchtet in beiden Plänen die Salbei hervor. Licht und Schatten werden im Rautenbeet bewundert, gleich daneben im Beet der Eberrauten feine Blattformen bestaunt. Im windgeschützten umschlosssenen Garten verbreitete sich der Wohlgeruch der Heilpflanzen, häufig Lippenblütler. In der Variante Walahfrids kommen zwei ausgesuchte Speisefrüchte hinzu, der Flaschenkürbis und die Honigmelone. Im warmen Sommer klettert der Flaschkürbis „in schwimmendem Fluge" an Erlenstützen über den Säulengang auf das Dach hinaus."
Aus: Hans-Dieter Stoffler, Der Hortulus des Walahfrid Strabo. Aus dem Kräutergarten des Klosters Reichenau, Sigmaringen 1996, S. 24 u. 25.
 Beete
   Frau
Das prototypische Einfamilienhaus mit der klassischen Programmierung von 4ZKDB ist aus einem Hauptraum in Form einer sich verwindenden Röhre und aus Individualräumen, die sich an diesen Hauptraum anlagern, zusammengesetzt.
Diese Teile ergänzen sich in der Summe zu der nach außen unspezifischen Erscheinungsform eines rechteckigen Quaders. Die Verinnerlichung der organischen Formen als Einschreibung in eine euklidische Geometrie gilt als Ausdruck der kanonischen Verbindung von Subjekt und urbanem Kontext.
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