Notel Prinzregent, 2016

69 Intervention in dem ehemaligen Hotel Prinzregent am Friedensengel

kuratiert von:
Jonathan Drews, Michael Hofstetter, Kim Noble, Janina Totzauer

 

 

Metamorphose! Transformation! Gentrifizierung! Der Neokapitalismus verwandelt die Großstädte – auch München. Die Investoren zeichnen ein neues soziales und emotionales Gefüge und bestimmen nicht nur das Visuelle unserer Städte. Auch das Hotel Prinzregent am Friedensengel weicht Luxusappartements.
Das familiengeführte Hotel ist 33 Jahre alt. Die Geschichte des Hotels ist verknüpft mit den Geschichten seiner Gäste. Derrick war da, Claudia Roth war da. Ruth Maria Kubitschek war da. Karl-Heinz Feldkamp war da. Freddy Quinn war da. Reinhard Mey war da. Anne-Sophie Mutter war da. Scooter war da. ABBA war da. Joachim Gauck und Angela Merkel waren auch mal zum Kaffee da.
Jetzt wird das Hotel abgerissen. Die Tränen feiern Abschied. Der Friedensengel zieht von dannen und die vier Sterne des Hotels fahren in den Himmel. Wo Stahl in Beton gegossen war und Stein auf Stein getürmt, richten wir der Kunst die Fahne auf. Über siebzig Studierende der Akademie der Bildenden Künste München besetzen das zum Abbruch vorgesehene Hotel Prinzregent am Friedensengel.

Im 19. Jahrhundert waren Hotels für die Künstler und Wagemutigen Fluchtstätten aus ihrem vorbestimmten Leben. Modernität war die Einwilligung zur Entwurzelung. Das Hotel die Wohnung dieser selbstgewählten Heimatlosigkeit. Die vorläufige Unterkunft derer, die ihr Erbe aufs Spiel setzten und ins Offene sich wagten.
In einem Abbruchhotel auszustellen heißt diese prekäre Situation des Temporären und Vorläufigen zu verdoppeln und zu verschärfen. Identität steht zweifach zur Debatte: Die Identität der des Ortes. Die Identität der KünstlerInnen!
Zwischen Dekonstruktion und Serviceleistung versuchen sie einen Balanceakt zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmtheit. Verortungen in einer Welt, in der das utopische Potential des Aufbrechens und Hinter-Sich-Lassens längst zum Profitgenerator des immer Gleichen geworden ist.

Privatunternehmen und Großinvestor drücken sich die Klinke in die Hand und die Kunst sieht nach, was noch übrig geblieben ist.

In der Nacht verwandelt sich das Gebäude in eine Flimmerkiste. Am Tag wehen zum Abschied die Vorhänge aus den Fenstern. In der Lobby begegnet dem Besucher erstmal nichts als Verlassenheit. Links an der Rezeption ist der Friseursalon, wie damals, als Hotel und Glamour noch ein Synonym bildeten. Um in die Zimmer zu kommen, muss man zwischen zwei Wandgemälden aus Kohle und Staub hindurch. Dort wird viel geboten: von einer Briefkastenfirma im Steuerparadies bis zur vollgepinkelten Russendisko, ein Messizimmer, eine Hassperformance, ein liebevoller Escortservice für tatsächliche oder potentielle Interessenten; das marokkanische Zimmer hält dem Biedermeier den Spiegel vor, einer bringt Ei und Apfel aus Berlin vorbei, Mutter und Sohn hauen kaputt, was sie kaputt macht. Denn: Der Akt als Stillleben der Selbstentfremdung in der Kunstgeschichte spielt sein Spiel mit der Lust! Ein nacktes Mädchen liegt im Schuhschrank: Zum Abschiedsgruß an die Villa Stuck hängen wir eine Leiche im Sack an die Decke.