„Vom Gehen in viele Richtungen, 2008“
Bernd Ruzicska: Konzeptext
Projekt von 701 e.V.
701 e.V.
Der Verein "701 e.V." ist eine gemeinnützige Initiative Düsseldorfer Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, Wirtschaft und Politik. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, den Standort Düsseldorf zu stärken und wieder zum Magneten für die internationale Kunst-, Mode-, Design- und Medienszene zu machen. "701" (benannt nach der stadtbekannten Düsseldorfer Straßenbahnlinie 701) engagiert sich für die nachhaltige Stärkung von Kunst und Kultur in Düsseldorf und damit für die Förderung des kreativen Images der Stadt. Mit vereinten Kräften will man dem Nachwuchs und damit der Zukunft der Kulturproduktion in der Stadt eine kontinuierliche Unterstützung sichern.
Mit Aktivitäten und Projekten aus den Bereichen Kunst, Musik, Mode, Theater, Tanz und Film setzt „701“ an verschiedenen Standorten Zeichen, die zeigen, wie lebendig der Austausch der jungen Szene in der Düsseldorfer Region ist. Mit der temporären Errichtung und Betreibung von offenen Plattformen für junge, nicht- etablierte und etablierte KulturproduzentInnen ermöglicht „701“ künftig Ausstellungsorte, Diskussionsräume und Treffpunkte, die den Standort Düsseldorf zusätzlich an Dynamik bereichern. "701" hat es sich im Besonderen zum Ziel gesetzt, die junge Kunstszene in Düsseldorf bei unkonventionellen Projekten zu fördern. Dabei sollen auch Berührungspunkte zwischen Kunst und Wirtschaft durch innovative Projekte gezielt gefördert werden.
KuratorInnen der Ausstellung
Gabriele Orsech
war nach ihrem Studium als Designerin tätig und führte danach acht Jahre ein eigenes Label. Die Modespezialistin mit Schwerpunkt Modesoziologie/ Womenswear ist seit 12 Jahren künstlerische Leitung und Akademieleitung der AMD Akademie Mode & Design Düsseldorf, unterrichtet Kunst- und Kostümgeschichte, Modesoziologie und Modedesign und
betreut zahlreiche Projekte, Wettbewerbe und Ausstellungen. Darüber hinaus arbeitet sie heute als Consultant in den Bereichen Design und Trendmarketing und engagiert sich in Sachen Nachwuchsförderung und Bildungspolitik.
Bernd Ruzicska
studierte an der Kunstakademie Düsseldorf bei Jannis Kounellis und Rosemarie Trockel. Er konzipierte und organisierte den unabhängigen Ausstellungsaum HORTEN mit zahlreichen Aktivitäten im In-und Ausland und gründete nach einer Lehrtätigkeit an der Akademie Düsseldorf die Galerie Ruzicska/Weiss in Düsseldorf
Projektskizze
A.F.Vandevorst - Louise Amstrup - Alexandra Bircken - c.neeon - Matali Crasset: Bernhard Willhelm, Kris van Assche, Bruno Pieters, Hermés - Heimat: Andreas Hoyer & Andy Scherpereel - Michael Hofstetter - Niklas Nitschke - Pelican Video - Gregor Russ – Paloma Varga Weisz (angefragt) - Cosima von Bonin (angefragt)- Mike Meiré (angefragt)
Mit „Kunst, Mode und Design“ sollen sich in diesem Projekt Disziplinen treffen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei genauerer Betrachtung findet man aber trotz offensichtlicher Widersprüche erstaunliche Übereinstimmungen.
Experimentelle Untersuchungen und Kombinationen, handwerkliches Können, ästhetische Überlegungen und das Bemühen, mit oder vor der Zeit zu sein, sind gemeinsame Bestandteile nicht nur betriebsbedingter Abläufe innerhalb dieser Disziplinen.
In den letzten Jahren wurden Grenzüberschreitungen zwischen Kunst, Mode und Design vielfältig erprobt, alle Seiten experimentierten intermediär und erweiterten ihren Radius. Daher möchte sich dieses Projekt sowohl den Gemeinsamkeiten im kreativen Arbeitsprozess, als auch den konzeptionellen und visuellen Parallelen in Kunst, Mode und Design widmen.
Die Ausstellung soll Fragen aufwerfen, inwiefern sich Künstler vom Zeitgeist oder sogar von Trends beeinflussen lassen und wie stark der Einfluss der bildenden Kunst auf das zeitgenössische Design ist. Mode nimmt dabei offenbar eine Schlüsselposition ein. Sie wird nicht länger als oberflächlich im Sinne fehlender Substanz gewertet.
Die Renaissance der Renaissance
Eine neue Generation Kreativer zieht allerdings häufig gar keine Grenzen mehr zwischen den Disziplinen. So wird gerade das interdisziplinäre Arbeiten zum Motor für Innovation und Individualität. Anfang des 21.Jahrhunderts scheint das lange beschworene Spezialistentum dem Bedürfnis nach Generalisten zu weichen.
Der neue „uomo universale“ unterteilt nicht mehr in niedere oder höhere Kunstgattungen, zumal die Forderung nach Konzeption und Botschaft auch für kommerziell ausgerichtete Produkte heute essentiell ist. Zur gleichen Zeit verlangt der Kunstmarkt immer häufiger nach Inszenierung.
Einem sind allerdings auch diese Grenzgänger unterworfen: dem allgemeinen Zeitgeist. Auch wenn sie ihn als ästhetische Meinungsführer früh erspüren, lange bevor er Mainstream wird, so sind sie doch „Kinder ihrer Zeit“ und durch diese Zeit geprägt. Ihre Individualität drückt sich durch ihre Fähigkeit aus, die ersten eines Stils zu sein, der auf Grund von sozialen Bedingtheiten allgemeine Akzeptanz erfahren wird. Sie sind somit „ein zeitlicher Vorgriff auf zukünftige künstlerische wie gesellschaftliche Entwicklungen“ (Walter Benjamin).
Das Projekt „Vom Gehen in viele Richtungen“ möchte sich genau diesem Thema widmen, der gegenseitigen Beeinflussung, Grenzüberschreitung und „Durchlässigkeit“ ästhetischer Disziplinen durch diejenigen, die Zukunft gestalten.
Vom Gehen in viele Richtungen
Aus Mangel und aus Überfluss
Gedanken, die aus unterschiedlichen, weit auseinander liegenden und teils sich widersprechenden Anschauungen, Bedürfnissen und Disziplinen kommen, zwingen uns dort, wo sie an einem gewissen Punkt unseres Handelns zu konvergieren beginnen, den Begriff eines festen Kern in uns, einer konsistenten Größe, eines Ich aufzugeben und neu zu verhandeln.
Kunst, Mode und Design werden hier als unterschiedliche Kulturtechniken begriffen, deren Bemühungen um die Bedürfnisse des Menschen sich stetig im offenen Spielraum theoretischer Konzepte und experimenteller Praktiken konkretisieren. Ihnen sei in einem produktiven Verständnis gemeinsam unterstellt, dass sie nicht um die Gunst des auf sich gestellten Individuums konkurrieren, sondern diesem an jener Stelle Möglichkeiten und Handlungsräume eröffnen, wo es in den sprudelnden und strömenden Lebenswelten seines Alltags zu sich selbst kommt und an der Notwendigkeit möglicher und unmöglicher Entscheidungen, das Wagnis eingeht, sich selbst zu entwerfen.
Diese unterschiedlichen Disziplinen über eine Ausstellung in ein Verhältnis zu setzten, kann nur unter der Prämisse sinnvoll sein, dass sie einem universellen Ausdrucks- und Darstellungsbedürfnis des Menschen entspringen, das ihn an die Gesellschaft bindet, in der er lebt. Und dergestalt sein Weltverständnis bedingen, von dem er als Teil dieser Gesellschaft durchdrungen ist. Ausdruck ist in diesem Sinn der realisierte Bezug zu einem psychischen und physischen Zustand, in dem sich ein Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet: gegenüber sich, seiner Gesellschaft und dem was weder das eine noch das andere ist.
Das harte Weiche
Die Kleidung, das Werkzeug und die Dinge, sind mittelbare Erzeugnisse, mit denen sich der Mensch gewöhnlich umgibt. Sie bilden eine Hülle, eine zweite Haut, die seine Nacktheit schützt, seine Scham bedeckt, seinen Bedürfnissen entspricht und ihm gerade damit die Welt erschließt, die er durch sie hindurch erfühlt, begreift, sich zu eigen macht und die er verändert, indem er sich mit seinen Belangen in ihr ausdrückt.
Das weiche Harte
Ihrem Wesen nach ist diese Hülle ambivalent: Sie bedeckt und schützt den Körper nicht nur, sie definiert und reproduziert ihn auch. Sie hüllt und verhüllt, kleidet und verkleidet. Sie verdeckt, maskiert und täuscht. Als begrenzende und sich öffnende Hülle verwandelt sie den Körper und verweist auf etwas, dass nicht er ist. Die Hülle kommuniziert ihren Körper, sie markiert seinen Status und taucht ihn in ein Netzwerk semantischer Felder, in ein dichtes Gewebe architektonischer, skulpturaler, selbstreflexiver und in jedem Sinn repräsentativer Bezüge. Das Sediment des Ausdrucks, der Hülle, ist Körper.
Übergänge
In dieser manifesten, materiell-gegenständlichen Hülle, in der sich das Verhältnis des Menschen zu seiner Welt, wie zu sich selbst ausdrückt und beständig verändert, lässt sich ein Moment des Übergangs darstellen. Ein Übergang, zu dem, was Körper ist und was er gerade nicht ist. (Vor dem Hintergrund eines universellen Darstellungsbedürfnisses kann das Andere der Kunst und das Andere der Mode und des Design in struktureller Hinsicht jeweils als stilbildendes Element gelesen werden. Als das, was gerade nicht ist und ebenso zum Ausdruck führt, wie das was ist.)
Entlang einer gedachten Geraden, die zwischen den Eckpunkten „Natur“ und „Kultur“ liegt, befindet sich der Mensch zu jedem Zeitpunkt in einem solchen Übergang.
Man kann die (Körper)Hülle als Vehikel des Körpers an diesem Übergang lesen, als Transformationsraum, in dem der Mensch im Spannungsverhältnis beider Pole hin- und her oszilliert. Und man kann die Hülle sogar selbst als diesen Übergang verstehen, die den Körper dort situiert, wo sich Natur und Kultur überschneiden. Sie „ist“ dann diese Überschneidung.
In beiden Fällen definiert sie den Körper als Schwelle und Übergang. Die Hülle ist dergestalt der Grenzgang des Körpers, so, wie man umgekehrt den Körper auch als Grenzgang seiner Hülle begreifen kann.
Die Ausstellung versteht Kunst, Mode und Design als Felder einer „allegorischen Praxis“, die den Körper des Menschen, seinen Grenzgang, aus unterschiedlichen Interessen enthüllen und verkleiden. Anderes wird durch anderes ausgedrückt. Diese Praxis bringt in jedem Feld ein unterschiedliches Gefüge heterogener Bezüge und selbstreferentieller Aspekte hervor. Sie produziert unzählige Ausdrucksmittel, scheinbare Gesetzmäßigkeiten, Analogien, Strategien, Risiken und Zufälle.
Hierbei stehen Kunst, Mode und Design in einem produktiven Wechselverhältnis: Da wo sich Mode und Design beispielsweise in der Inszenierung ihrer unendlich reproduzierbaren Produkte ästhetisch-sakraler Momente in der gesetzten Einmaligkeit künstlerischer Arbeit bedienen, nutzt die Kunst das Wissen ihrer vermeintlichen Gegenspieler, von der Suche und dem Versprechen der Individuation. Hier lässt sie sich durch multimediale Sichtbarkeit inspirieren und macht Anleihen in Inszenierungs-, Verkaufs- und Kommerzialisierungsstrategien.
Die Motivation zu dieser Ausstellung liegt nicht nur im Blick auf die Überschneidungen, die Wechselverhältnisse und gegenseitige Einflussnahme von Kunst, Mode und Design. Hier kann man sogar behaupten, dass solche Überschneidungen in einer bisweilen erstaunlich fraglosen Weise gesucht und gegenseitig provoziert werden.
Im Mittelpunkt des Interesses steht das Darstellungsbedürfnis, die Hüllenproduktion im fundamentalen Verhältnis von Mangel und Überfluss - das fehlende Andere und das Zuviel des Eigenen, als (menschliche) Konstante am Produktionsort von Kunst, Mode und Design gleichermaßen. Es ist immer schon zu viel da und zugleich immer schon zu wenig.
Der Mangel als Motor in der Kunst wurde in der Rezeption fälschlicher Weise als das Fehlen von Inhalt und Bedeutung missdeutet, so wie in Design und Mode als das Fehlen der Form. Damit ergab sich eine irreführende und letztlich leere Opposition von Form und Inhalt, die zum einen das sinnstiftende, bedeutungsvolle und einmalige Kunstwerk einfordert, das die Welt erklärt und erneuert und zum anderen ein glänzendes und hoch exklusives Mode- und Designobjekt kürt, das die Welt um einen ästhetisch äußerst anspruchsvollen und funktionellen bis luxuriösen Gegenstand bereichert.
Auf der Seite der Produktion sind diese Unterscheidungen hinfällig, und die Grenzen durchlässig. Die Produktion ist der Ort, an dem die Disziplinen Hand in Hand gehen. Vom kommerziellen Produkt aus und seiner marktorientierten Inszenierung erweisen sich die drei Bereiche längst als Intarsien von einander.
Die Ausstellung verfolgt in diesem Sinn auch nicht das Ziel bereits festgelegte Unterschiede und Trennlinien anschaulich zu machen, sondern ist von der Idee getragen, ein produktives Miteinander der einzelnen Disziplinen als Ausgangspunkt zu nutzen, um Kriterien der Unterscheidung von „innen“ her aufzustellen und nach ihrer Tauglichkeit zu befragen.
In Abhängigkeit ihrer Repräsentation des Körpers werden Kunst-, Mode- und Designobjekte als Elemente einer Hülle verstanden, die den Körper verschieden artikulieren, gestalten und befragen. (Wie „geht“ der Körper in der Kunst auf, wovon erzählt sein Verschwinden? Und wie tut er ähnliches im Design, in der Mode und in welcher Weise? Wovon spricht die Hülle?).
Es wird darum gehen, über die Hülle den Körper mit zeitgenössischen Tendenzen aus Design und Kunst produktiv zu machen und Diskursivität zu erzeugen, wo Stillstand ist.