Kirche St. Martin (1722) Langenargen am Bodensee. Foto: Norbert Kaiser
Michael Hofstetter Die Fotografie war eine Erfindung der katholischen Kirche
1988, 2-teilig, Triptychon und Konsole
Triptychon: s/w-prints, Ektachrome in Leuchtkasten, 67,5 x 154 cm / 65 x 65 x 10 cm / 67,5 x 154 cm
Konsole: c-prints, DinA5 Kuvert beschriftet mit Schreibmaschine, 57 x 90 x 30 cm
Angeregt von der Tatsache, daß das bevorzugte fotografische Motiv am Anfang der Geschichte der Fotografie tote Menschen waren, entwarf ich einen Arbeitsablauf, der den Charakter einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung hat, um eine Identität zwischen dem Inszenieren und Ausstellen von Reliquien toter Heiliger und dem Herstellen fotografischer Abbilder zu behaupten.
Zu diesem Zwecke fotografiere ich zwei Reliquienschreine, die in der katholischen Barockkirche von Langenargen jeweils auf dem linken und dem rechten Seitenaltartisch stehen, auf folgende Weise:
Der Apparat mit der ich die beiden Schreine abfotografiere ist eine eigens für diesen Zweck angefertigte Camera Obscura. Diese hat exakt die selben Maße wie ein Reliquienschrein. An die Rückwand im Innern der Kamera wird in der gesamten Fläche handelsübliches PE Fotopapier angebracht. Nun wird die Kamera frontal gegenüber dem Reliquienschrein ebenfalls auf den Altartisch gestellt. Der Abstand zum Schrein ist genau so groß, wie die Tiefe der Kamera, bzw. des Schreins. Auf diese Weise entspricht der Abbildungsmaßstab dem Verhältnis 1:1. Nun wird das Fotopapier durch eine 1mm große Öffnung zwei Stunden lang belichtet. Danach entwickelt, gestoppt und fixiert. Dieser Vorgang wird für die Aufnahme des zweiten Reliequienschreins wiederholt. Dabei entstehen zwei Negativbilder auf Papier.
Während der Belichtung wird jeweils ein Dokumentationsfoto von dem Belichtungsvorgang aufgenommen. Diese Fotos zeigen den jeweiligen Altartisch jetzt mit der Camera Obscura. Die architektonische Sockelung der Seitenaltäre mit Tisch und Reliquienschrein bleibt auch in der Substitution der Schreine durch die Cameras erhalten. Die Fotos werden aus unterschiedlichen Abständen zum Geschehen aufgenommen, um die Tatsache, daß es sich um zwei Dokumentationsfotos handelt, in denen der Bildausschnitt keine Rolle spielt, zu unterstreichen.
Desweiteren wird von der dreidimensionalen Pelikandarstellung über dem Tabernakel in der Mitte der Kirche ein Dia angefertigt.
Die fünf Fotografien (2 Direktbelichtungen, 1 Ektachrome, 2 Farbabzüge) werden dann wie folgt inszeniert: Die beiden Dokumentationsfotos werden im Format 13/18 zusammen mit dem Umschlag in dem sie lagen, auf einer Wandkonsole unter einer Glasscheibe ausgestellt.
Die drei restlichen Fotos (2 Negative auf Papier und das Diapositiv) werden, der Anordnung ihrer realen Vorbilder in der Kirche entsprechend (links: linke Reliquie, Mitte: Pelikandarstellung, rechts: rechte Reliquie) an die Wand als Triptychon gehängt. Hierbei werden die Reliquienabbildungen auf Holz aufgezogen unter einer Glasscheibe präsentiert. Für das Dia vom Pelikan wird ein quadratischer Leuchtkasten gebaut, der die Gestalt einer Camera Obscura hat, wobei das in die Mitte eingesetzte Dia, für die Linse steht – in diesem Fall aber nach Außen strahlt statt nach Innen.
München, August 1988