Continuous perspectives #2, Juni - Aug. 2009
NUSSER & BAUMGART@SPINNEREI LEIPZIG
19.06.2009 bis 30.08.2009

 

Yehuda Altmann | Mark Harrington | Haubitz/Zoche | Michael Hofstetter | Tamara K.E. | Brian McKee | Yoshiyuki Miura | Herbert Nauderer | Barbara Sophie Nägle | Pietro Sanguineti | Peter Schlör | Albert Weis |

 

Die Galerie Nusser & Baumgart setzt ihr viermonatiges Gastspiel in Leipzig fort und präsentiert parallel zum 125-jährigen Jubiläum der Baumwollspinnerei den zweiten Teil der Gruppenausstellung „Continious Perspectives“. Der erste Teil wurde im April 2009 eröffnet und präsentierte neun künstlerische Positionen, deren Spektrum von der Malerei über die Zeichnung bis hin zu Fotografie, Skulptur und Klanginstallation reichte. Zwei der gezeigten Arbeiten – ein Teil der installativen Wandmalerei von Daniel Man (*1969) und das minimalistisch-funktionale Leuchtobjekt von Winter/Hörbelt (*1960/*1958) – wurden in den Räumen belassen und fungieren jetzt als Brücke zur neuen Ausstellung, die nunmehr zwölf weitere Künstler der Galerie mit charakteristischen Werken vorstellt.
Wiederum werden dabei unterschiedliche künstlerische Positionen und Medien präsentiert. Gleichwohl fällt auf, dass die Themen Architektur und die Magie von Orten mehrere Künstler beschäftigen – vor allem solche, die mit Fotografie arbeiten.


Der in Israel geborene Yehuda Altmann (*1964) beispielsweise schafft in seinen Aufnahmen atmosphärische Ansichten von architektonischen Durchgangssituationen wie Passagen, Korridoren oder Türeingängen, die mit spirituell anmutenden Lichtwirkungen von fast malerischer Qualität aufwarten. Mittels der Fotografie sammle er Orte, die historische Bedeutung haben, hat der Künstler geäußert. Eine ganz andere Art von Sammlung hat das Münchner Künstlerduo Haubitz + Zoche mit seiner Serie über die „Sinai Hotels“ angelegt: Es sind moderne Ruinen von nicht zu Ende geführten Hotelprojekten an der ägyptischen Sinai-Küste, die von den absurden Versprechungen einer globalisierten Tourismusindustrie und deren destruktiven Konsequenzen zeugen.


Von Zerstörung handeln auch die Aufnahmen von Gebäuden und Landschaften, die der New Yorker Fotograf Brian McKee (*1977) in Afghanistan und dem Libanon gemacht hat. Er sehe sich als einen visuellen Historiker, hat der Künstler formuliert. Die Titelgebung „Structural Memory“ verweist darüber hinaus darauf, dass die Arbeiten auch als Metaphern für die Funktionsweise unserer Erinnerungen zu verstehen sind. Sehr viel friedlicher erscheinen dagegen auf den ersten Blick die Landschaftsfotografien der ebenfalls in New York lebenden deutsch-österreichischen Künstlerin Barbara Sophie Nägle (*1969).
Doch was zunächst so romantisch-mystisch anmutet, erweist sich bei näherem Hinsehen als Zeugnis landschaftlicher Zerstörung, die der Ausbeutung der Natur durch den Menschen geschuldet ist. Nebel oder rätselhafte Details zwingen den Betrachter dabei zu einer verlangsamten Wahrnehmung, die im übertragenen Sinne auch als Thematisierung für einen Prozess des Innehaltens zu verstehen ist. Die streng komponierten, präzisen Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Landschaften und Gebäude von Peter Schlör (*1964) basieren ebenfalls auf der Realität, erscheinen aber durch die Strenge der Konstruktion so artifiziell und ästhetisiert, dass sie den konkreten Ort vergessen machen. Eher sieht man sich bei den Bildern universellen Ordnungssystemen gegenüber, die individuelle Erfahrungen zum Allgemeinen überhöhen und zudem in Erinnerung rufen, dass die Kamera einen durchaus mechanistischen Blick auf die Welt wirft. Menschen tauchen bei all diesen Arbeiten nicht auf, sind aber über die Spuren ihrer Handlungen, die die Fotografien unmittelbar vergegenwärtigen oder andeuten, zumeist indirekt präsent.


Das gilt nicht zuletzt für die Architektur, die auch für den in Berlin lebenden Bildhauer Albert Weis (*1969) ein zentrales Thema ist. Sie findet sich nicht nur ganz konkret auf Fotografien, die häufig ein Bestandteil seiner raumbezogenen Installationen sind, sondern steht als Prinzip auch hinter seinen minimalistisch-strengen Skulpturen und den „folder“-Arbeiten. Immer wieder geht es um das Verhältnis zwischen Fläche und Raum sowie jenen Moment, in dem das eine zum anderen umklappt oder umkippt. Diese Vorgehensweise kann auch durchaus im übertragenen Sinne Geltung haben, indem Ideales in Tristesse oder aber Banales in Schönheit kippen kann.


Völlig anders funktionieren hingegen die Skulpturen des in München lebenden japanischen Bildhauers Yoshiyuki Miura (*1958). Aus Edelstahldraht und Farbe schafft er faszinierende Strukturen, die eine minimalistisch-strenge Formensprache mit sinnlichen Qualitäten verbinden. Seine Skulpturen, die man auch als Raumzeichnungen bezeichnen könnte, schweben, fließen und erscheinen so flüchtig, als unterlägen sie nicht mehr länger der Schwerkraft.


Immateriell ist auch das Ausgangsmaterial des Berliner Bildhauers Pietro Sanguineti (*1965) – die Sprache. Die aber setzt er mit Hilfe des Computers in Form von Leuchtkästen oder dreidimensionalen knallig-bunten Text-Skulpturen wieder ins Bild. Vertraut mit der Ästhetik und den Slogans der Werbewelt, stellt er das Verhältnis zwischen Inhalt, Form und Sprache auf den Prüfstand und lässt den Betrachter über die Verführbarkeit durch visuelle Kommunikationsstrategien nachdenken.

Das deutet auf einen konzeptuellen Hintergrund, der maßgeblich auch für die Arbeiten des Münchner Künstlers Michael Hofstetter (*1961) ist. In unterschiedlichen Medien wie Leuchtkästen, Skulpturen, Fotografien und Installationen reflektiert er auf komplexe Weise die Bedingungen, unter denen Kunst entsteht, präsentiert und wahrgenommen wird. Dabei blitzen seine intellektuelle Schärfe und sein hintergründiger Humor ebenso auf wie seine kenntnisreiche Beschäftigung mit zeitgenössischen Diskursen.


Der gebürtige Kalifornier Mark Harrington (*1952) indes vermeidet jegliche Bezugnahme auf außerkünstlerische Bereiche und konzentriert sich bei seinen abstrakten Bildern stattdessen vorrangig auf die Unmittelbarkeit von Raum und Licht. In seinen horizontalen Kompositionen mit ihren charakteristischen Unschärfen wird die Malerei als solche zum Ereignis und verzichtet auf alle narrativen Aspekte.

Einen Gegenpol dazu stellen die realistischen Bilder der aus Georgien stammenden Malerin Tamara K.E. (*1971) dar: Die Biennale-Teilnehmerin (Venedig, Prag 2003) isoliert aus der medialen Bilderflut einzelne Bilder und adelt sie, indem sie sie in klassische Malerei überführt. Damit werden die Motive den Massenmedien und ihren Mechanismen entzogen und wieder zum singulären und individuellen Werk, das zur genauen Betrachtung einlädt.

Zwischen den Polen Figuration und Abstraktion bewegt sich der am Starnberger See lebende Künstler Herbert Nauderer (*1958) in seinen Zeichnungen, Skulpturen und installativen Arbeiten. Besonders augenfällig wird dies bei den Zeichnungen, die an wissenschaftliche Illustrationen denken lassen und zugleich den physischen Akt des Zeichnens veranschaulichen. Diese Janusköpfigkeit zeigt sich auch im Titel der Arbeit „Oneironauten“, der wissenschaftliche Traumdeuter bezeichnet und damit die Gegensätze zwischen Wissenschaft und Surrealem miteinander verbindet.


Mit den Ausstellungen „Continuous Perspectives #1 und #2“ präsentiert die Galerie Nusser & Baumgart einen Großteil ihrer Künstler und liefert zugleich ein Selbstporträt der eigenen Tätigkeit und künstlerischen Präferenzen ab. Die beschränken sich offensichtlich nicht auf ein Medium oder gar einen bestimmten Stil. Eher lässt sich bei den präsentierten Positionen eine vergleichbare Haltung ausmachen, die von einem reflektierenden und kunstreflexiv geprägten Zugriff auf die als komplex verstandene zeitgenössische Realität zeugt. Der erfolgt kritisch, durchdacht und bisweilen sogar mit einem Augenzwinkern. Insofern darf man sich auf weitere Fortsetzungen dieser Perspektiven freuen.
 
Text: Martina Fuchs