trans

Stephan Conrady
Beliebige Leute in beliebiger Gegend

Michael Hofstetter
Geister und Transen

Eröffnung am Freitag, 19. Oktober 2018, 20 Uhr

Dauer der Ausstellung: 19. Oktober – 11. November 2018

Öffnungszeiten: Do–So, 14–17 Uhr

Einführung: Claudia Fischer, Philosophin, Handelsreisende

Neue Galerie Landshut
im Gotischen Stadel auf der Mühleninsel
Badstraße. 4, 84028 Landshut
www.ngla.de

 

 

 

 Pressetext:

Die Ausstellung trans ist ein malerischer Dialog zwischen den beiden Künstlern Stephan Conrady und Michael Hofstetter. Beide haben sich wechselseitig kuratiert und die ausgestellten Werke des jeweils anderen ausgesucht. trans zeigt so die Transgression des autonomen Künstleregos zum Kollaborateur – und darüber hinaus die der Gattung, des Stils und schließlich der Geschlechter.

Stephan Conrady und Michael Hofstetter haben zusammen in den späten achtziger Jahren an der Akademie der Bildenden Künste München Malerei studiert. Conrady bei Rudi Tröger, Hofstetter bei Gerd Winner. Über diese biografische Gemeinsamkeit hinaus verbindet beide in ihren Werken die grundsätzliche Befragung der Kunst.

In ihren Werken kämpft die Tradition mit der Gegenwart. Genauer gesagt: Die Tradition wird unter den Bedingungen der Moderne dargestellt. Dieser Streit zwischen Tradition und Zerstörung, zwischen Bewahren und Überschreibung ist als offene Spur in den Werken präsent und zeigt sich als unabgeschlossene Suche nach Schönheit. Diesen beiden Künstlern geht es um das verlorene Ganze der Kunst selbst.

Die Kunst von Conrady und Hofstetter gibt sich immer als offener Prozess zu erkennen. Für sie ist Kunst keine beherrschbare Fertigkeit, um ein gültiges Bild zu erstellen, sondern eine permanente Auseinandersetzung am und im Bild selbst. Oft passiert es, dass weitergemalt wird, obwohl das Bild schon fertig war. Hier zeigt sich der abendländische Widerstreit zwischen Rhetorik und Revolution, zwischen Schönheit und Zerstörung, den die beiden in ihrem Werk mit ihren Mitteln fortsetzen. Formal gesehen sind diese ständigen Überschreibungen und Übermalungen Palimpseste. Ein Darstellungsmittel, das beide in buchstäblicher wie auch in übertragener Form verwenden – nicht selten auch als bewusste Verunklärungsstrategie.

Stephan Conradys Malerei basiert auf einer ikonografischen Modellsituation: eine Scholle in wässriger Ursuppe unter einem hohen Firmament, mit Menschen inmitten von Bäumen und Büschen. Dieses ptolemäische Setting gehört in all seinen Varianten, ob als Paradiesgarten oder Arche Noah, zum traditionellen Bestand der Kunstgeschichte. Neu bei Conrady ist, dass er dieses ikonografische Setting mit Mitteln der modernen Malerei bearbeitet und so tut, als ob es ein abstraktes Gemälde wäre. Er enthaust im Malen selbst die gesetzte Idylle – und dieses Malen ist kein zielorientiertes Ausschmücken der gegebenen Szene, sondern ein permanentes unablässiges Setzen und Wegnehmen, ein Wechsel von Farbauftrag und Abschaben. Conradys Malerei ist in gewisser Weise vergleichbar der Dichtung von Samuel Beckett, sowohl, was das Setting angeht, als auch hinsichtlich der Befragung des traditionellen Erbes mit Sprache der Moderne. Der oft übersehene komische Aspekt dieses Widerstreits von Tradition und Moderne tritt in Conradys Arbeiten der letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund.

Auch bei Michael Hofstetter ist das onto-topologische Setting von Scholle, Himmel, Wachsen und Vergehen der Bezugsrahmen seiner Kunst, aber nur als Trümmer sichtbar. Er ist auf die Seite der Fotografie gewechselt. Nicht aus Neigung, sondern aus der Einsicht in die Notwendigkeit des Verrats an der Tradition. Er weiß: Nur im Verrat kann er sie vor falscher Vereinnahmung, Verkitschung und Ausverkauf retten.

Denn die Fotografie hat die Dinge der Welt in Zeichen verwandelt. Gold oder Scheiße? Als Zeichen sind sie nun einem ständigen Wechsel ausgesetzt, den die jeweilige Mode bestimmt. Alles kann zur Ikone aufsteigen; alle Ikonen können verblassen und belanglos werden. Die messianische Verbindung zwischen Trash und Heiligem hat der Fotoapparat profanisiert. Diesen Umwertungsmechanismus spielt Hofstetter in seinen Zeichnungen aus. Die von Conrady für trans ausgewählten 15 Zeichnungen sind übermalte Schmier- und Notizzettel: Gedanken für Texte, Zahlennotizen von Farbwerten, Entwürfe für Bücher, Möbel und Skulpturen. Hofstetter hat in diese Notizen hinein Shemales aus dem Internet in Gold und Silber gemalt. Diese Malerei mit den Letztgültigkeitsfarben Gold und Silber stoppt den vorläufigen und transitiven Charakter dieser Notizen und hebt sie in den Stand der Heiligkeit. In den Notizzetteln zeigt sich das unsere Wirklichkeit beherrschende Moment der Arbeit – die nicht vor der Kunst Halt macht. Ihre Gegenwelt, die Lust, vermittelt das Pornobild aus dem Internet. Beide, Arbeit wie Lust, sind ausgehöhlt durch den Kapitalismus und die mediale Verbreitung. An ihrem Zusammenprall entsteht die Möglichkeit von etwas anderem: Leerraum, der von einem dialektischen Bild eröffnet wird.
Walter Benjamin entwarf dieses Verfahren, damit die zeichenhaften Dinge jenseits der Mode wieder erwachen und virulent werden können.
Auch Conradys Kombination aus ausgehöhltem Paradies und einer zur Attitüde gewordenen abstrakten Geste evoziert ein unentschiedenes Schwanken zwischen Entfremdung und neuem Sinn. Ein Schwanken zwischen Leere und der Möglichkeit von etwas Neuem, das die ganze Ausstellung durchzieht.

trans ist sie mehr als die Addition von zwei Künstlerpositionen. Es geht um das verlorene Ganze der Kunst.

Dr. Shiva Lachen 2018

 

 

Eröffnungsrede Claudia Fischer

TRANS
Michael Hofstetter, Stephan Conrady

Eröffnungsrede am 19.10.2018 von Claudia Fischer

D
I made it through the wilderness, somehow I made it through.
Em D
Didn‘t know how lost I was, until I found you.

I was beat, incomplete, I‘d been had, I was sad and blue,
Em Bm Em Bm
But you made me feel, yeah, you ma...de me feel
A
shiny and new.

D
Like a virgin, touched for the very first time.
Em D
Like a vi...rgin, when your heart beats, next to mine.

D
You‘re so fine and you‘re mine, I‘ll be yours ‚till the end of time,
Em Bm Em Bm
‚cause you made me feel, yeah, you ma...de me feel
A
I‘ve nothing to hide.

Meine Damen und Herren, „Die Mode“, schreibt Walter Benjamin, „hat die Witterung für das Aktuelle, wo immer es sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Vergangene. Nur dass dieser gewaltige Sprung in einer Arena stattfindet, in der die herrschende Klasse kommandiert.“

In diesem Sinne war Madonnas Selbstinszenierung als heilige Hure, als Mix aus Maria und Maria Magdalena instinktsicher und wegweisend:
Unbefleckt UND verrucht war sie damals die Aushebelung des Diktats eines ‚Entweder-oder’ und wurde zur Ikone postmodernerner Markttauglichkeit.
Sie verwandelte das Haltlose heilsökonomisch geschickt in eine wundersam wiederhergestellte Jungfräulichkeit vor Befleckung und Beleidigung durch die existentielle Einlassung und war damit ideale Identifikationsfigur für die Mode.

Was aber würde nun, wie sich Benjamin im Weiteren (seines Textes) wünscht, „der­selbe Sprung unter dem freien Himmel der Geschichte“, bedeuten?, wenn also die Witterung für vergangene Zeichen und Dinge und ihre Befragung nicht als Mode inszeniert würde, wenn das gefällige Gleichgewicht aus Schlauheit, Ökonomie und gelenkter Provokation nicht bedient würde, sondern wenn ein solcher Sprung unsere Verbackenheit mit all diesen Identifikationen aufsprengen würde, um, wie Benjamin fordert, „die Überlieferung immer wieder von neuem dem Konformismus abzugewinnen“.

Michael Hofstetter und Stephan Conrady misstrauen jedenfalls mit Benjamin den gängigen Rettungsversprechen und Siegernarrativen, die man heute überall als Pose und Sackgasse eines Zwangs zur permanenten Selbstneuerfindung antrifft.

Die Selbstverwandlungskraft liegt bei beiden Künstlern viel mehr darin, dass sie sich darum bemühen, dem sogenannten souveränen Selbst zu entkommen und dem eigenen Dämon, wie ihn Agamben nennt, auf die Spur zu kommen.
Dieser Dämon lässt sich nicht einfach und unmissverständlich zum Zweck der Selbstoptimierung beanspruchen, sondern erscheint als Potenz und Möglichkeit. Agamben schreibt dazu: „Weil es aber das Schwerste ist, mit einer Potenz eine Beziehung zu unterhalten, ist der Dämon etwas, das ununterbrochen verloren zu gehen droht, etwas, dem man um jeden Preis die Treue halten muss.“

Vielleicht kann man sagen, Conrady und Hofstetter sind in diesem (weitesten) Sinne Allegoriker, indem sie nämlich beide mit verschiedensten Übertragungen, Fortschreibungen, Löschungen, Übermalungen gegen das Verlorengehen dieser fremdeigenen Instanz anarbeiten, die bei Agamben eben Dämon heißt und zu der man vielleicht auch Gespenst oder Wiedergänger sagen könnte.
Von diesem Wiedergänger heißt es, er sei „das neue Geschöpf, mit dem unsere Werke und unsere Lebensform das (...) Individuum, das wir zu sein glaubten, ersetzen - er [sei] der anonyme Autor (...) dem wir neidlos (...) alles zuschreiben können.“

Der Dämon befreit (also) von der Festschreibung auf ein allzeit mit sich selbst identisches Künstlerego und schanzt Conrady und Hofstetter in diesem Freiraum Spielmöglichkeiten zu, die immer eine Art Verunreinigung, Verrückung oder Korosion dessen gestatten, was das eigene Geprägt-seins hinsichtlich Körper, Bild, Geschlecht, Identität und Grenze usw. weiß.
Es gibt hier auch kein „Mit-etwas-fertig-werden“, die Werke beider Künstler sind potentiell immer im Fortlauf befindliche Arbeiten und darin zutiefst philosophisch, dass sie keine „Wahrheit“ (der Kunst oder der Geschichte) verkünden, sondern es vermögen, sich unermüdlich in der Frage zu halten.

Eine dieser Fragen umkreist bei Stephan Conrady das Thema einer immer wieder neu zu findenden Unschuld oder Unbedarftheit in der Malerei, die zugleich aber bereits mit allen Wassern gewaschen ist. Seine Bilder sind eine, wie Sebald über Robert Walser schreibt und wie ich es für Stephan Conrady entleihe „eine mit größter Virtuosität bewerkstelligte Simulation der Unbeholfenheit, die Vollendung der von den deutschen Romantikern immer nur erahnten, aber von keinem von ihnen (...) in der poetischen Praxis realisierten Ironie.“ Ähnlich wie die Figuren Walsers strahlen Conradys Leute eine transinfernale Fröhlichkeit aus und erscheinen ganz gemäß der Gebserschen Formel „ni espoir, ni peur“, jenseits der Hoffnung, aber auch ohne Angst.

Michael Hofstetter zeigt auf seinen Zeichnungen doppelgeschlechtliche Shemales, wie man sie als Zeichen pan-erotischer Selbstbefruchtung und Befriedigung durchs Internet geistern sieht. Er legt sie als silberne und goldene Schutzgeister in und über seine Werk- und Textkonzeptionen. Conception heißt auf Englisch nicht zufällig Schöpfung und Empfängnis, und es ist nur folgerichtig, dass Hofstetters Schmierzettel im ebenfalls ausgestellten Künstlerbuch mit ihrer Vorder- und Rückseite gezeigt werden.
Seine schmutzigen Internet-Heiligen versiegeln und erhöhen den letzten vorläufigen Zustand seiner Projektnotizen.
Jean-Luc Nancy schreibt über „diese arealen Körper, diese Video-Körper, diese Klarheit-des-Bildschirm-Körper“, sie seien „die verklärte Materialität der Ankunft“.
Hofstetter benutzt sie in diesem sehr präzisen Sinn als profane Engel auf seinen Trash-Ikonen.

So wie Conradys Leute Stellvertreter dafür sind, dass es an jedem Körper eine „Materialität der Ankunft“, ein Zur-Verfügung-gestellt-sein gibt, das selbst weder ist, noch bedeutet, sondern das den Platz zur Verfügung stellt, den jeder Körper einnimmt, so sind Hofstetters Shemales Stellvertreter dieses „Orts“ für die digitalen Bilder. In beiden Fällen meint Ankunft den quasi jungfräulichen, transgeschlechtlichen, ambivalenten „Ort“, wo Idee und Erscheinung zusammentreffen, ohne dass dieser „Ort“ selbst eine Präsenz hätte. Die Unmöglichkeit, diesen „Ort“ darzustellen und die Bereitschaft, diesen unmöglichen Versuch trotzdem immer wieder zu unternehmen, zeichnet beide Künstler aus.

Die Welt der digitalen Bilder ist wie eine zweite Welt, in der der Schöpfungsmythos noch nicht vollständig geklärt ist. Dem Chaos der Bildern sind keine Grenzen gesetzt, und der Künstler kann nicht nur, sondern MUSS hier quasi Gott spielen, um aus dem verwilderten Bilderbrei sein eigenes Spiel zu kreieren.
Alles kann verklärt werden, noch das Profanste kann durch Auswahl und Benennung Heiligung erfahren, wie es Hofstetter hier zeigt.

Stephan Conradys Figuren wiederum wirken fast wie Grenzgänger zwischen Konzeption und Körper. Nicht mehr rein formlos, aber auch noch nicht letztkonkret gestaltet, erscheinen sie gefährdet in ihrer Fragilität und immer nahe am Verschwinden. Doch das täuscht. In Wirklichkeit sind auch sie Gerettete, ihre „verklärte Materialität“ ist am Schillern und Ausfransen der Ränder ablesbar, moderne Varianten der Aureole, unbedeutende Auszeichnung vorbewusster Glückseligkeit.
In all ihrer Unterschiedlichkeit verkörpern Hofstetters und Conradys Figuren den kleinen Rest an Entzug und Nichtbeanspruchbarkeit, der JEDEM Körper eignet, quasi als Momentum der Unberührtheit jenseits aller Befleckung, Verstrickung und Reproduktion.

TRANS wurde als Künstler-Dialog über die Transgression von Gattungen, Stilen, Geschlechtern und Zuordnungen angekündigt. Transgression bezeichnet unter anderem auch die Inbesitznahme des Festlands durch das Meer.
In diesem Dialog geht es nicht um Bodengewinnung und Verankerung im Bewährten, sondern um Verflüssigung und Überschwemmung des sicheren Ufers.
Quasi als Verkehrung, als Verso-Version des Madonna-Songs, arbeiten beide an der Überflutung und Neuverortung traditioneller Verfahren, Sujets und Aneignungen in der Kunst.

TRANS ist vielleicht eine Art Bekenntnis zu einer künstlerischer Daseinsform oder Grundentscheidung, die den Begriff „Transgression“ für die Kunst in seinem ganzen Bedeutungsspektrum ausschöpft, als Überschreitung, aber auch als Verstoß, Vergehen, Verfehlung, Verletzung, Verrat. Und eben auch als Verflüssigung von Festem.

Stephan Conrady hat sich entschiedermaßen vor vielen Jahren als virtuoser Maler selbst verlernt um andere künstlerische Erfahrungen machen zu können. Ähnlich wie Beckett seinerzeit anfing, der Sprache zu mißtrauen, fing Conrady an, die Malerei zu demontieren. Ähnlich wie Beckett versucht er, seine Malerei zu erschöpfen bis zu dem Punkt, „an dem die Leere hervorkommt, oder das Sichtbare an sich, oder das Hörbare an sich“ wo klingende und farbige Bilder entstehen.
Conradys Themen reduzieren sich auf Boden, Bäume, Luft und einige wenige menschliche Figuren, die sich, wie er selbst sagt, als „Bausatz der menschlichen Existenz“ in seinen Bildern bewegen.
Es gibt bei ihm eine Nähe zum japanischen No Theater, in dem ebenfalls mit größtmöglicher Reduktion und einem Repertoire an stilisierten Gesten gearbeitet wird. Was zu sehen ist, „geschieht“ nur in angedeuteten Bildern, ist eher Verweis und Spur.
Conradys Szenerien erinnern an Becketts „Warten auf Godot“ -„Landstraße. Ein Baum.Abends.“
Natürlich schwingt in Godot Gott als mögliche Dimension von Erlösung mit, man kann Godot aber auch ironischer lesen, als „go dot“ im Sinne von: „to come on the dot“: absolut pünktlich, auf die Sekunde genau ankommen.
Dann sagt der Titel - Godot wird pünktlich kommen. Die Frage ist nur, wann.
Etwas von dieser Stimmung ist in Stephan Conradys Bildern zu spüren.

Michael Hofstetters Shemale Ghosts stehen zu diesen verhaltenen Figuren nur in scheinbarem Gegensatz. Auch sie lenken das Interesse des Betrachters wieder auf den Grund ihres Erscheinens - bei Conrady ein undefiniertes Rauschen, bei Hofstetter die Schmier- oder Konzeptzettel.
Alles tritt aus diesem Rauschen und Kritzeln hervor, Conrady und Hofstetter stellen aus, was man üblicherweise nicht sieht: eine Art schmutzige heilige Quelle, aus der sie schöpfen.
Dabei treffen sie sich dabei immer wieder an der imaginären Grenze zwischen den beiden Doppelhaushälften ihrer Jugend. Diese Schwelle, die Sie auf der Einladungskarte sehen, markiert die Komplizenschaft beider Künstler sowohl für diese Ausstellung, für die der eine die Arbeiten des anderen ausgewählt hat, als auch ihre Komplizenschaft in einer grundsätzlicheren Überzeugung, die mit Rosset vielleicht so beschreibbar ist:
„Wenn es denn ein Mysterium gibt, dann ist es wohl das Wesen der eigenen Bejahung, die von allen anderen unterschiedene, das heißt idiotische eigene Weise, vom Realen leidenschaftlich eingenommen zu sein: Ort des einzelnen, seinerseits völlig unübertragbar und inkommunikabel.“

Jede nicht idiotische Herangehensweise (im griechischen Sinn des Wortes), das heißt, jede Herangehensweise, die nicht über die Dinge stolpert“, und sich von ihrer Präsenz überwältigen lassen kann, wäre bloße Darstellung, Erzählung, Spiegelung und würde das Mysterium nicht berühren.

Gleichzeitig will diese Bejahung, die weit entfernt ist von narzisstischer Selbstermächtigung und trügerischer Authentizität, auch dargestellt werden.

Hofstetter zeigt mit seinen Zeichnungen nicht das fertige Ergebnis eines solchen Begehrens nach Darstellung, sondern die Übergänge von der Idee in die Realisierung seiner verschiedenen Ausstellungsprojekte. Diese Notizen sind Palimpseste aus Skizzen, Preiskalkulationen, Auswahl-Titeln, Maßen, Telefonnummern, Probedrucken, die – selbst Gespenster einer inzwischen längst stattgefundenen Präsenz - wiederum von Geistern bewohnt werden.
Geister sind, wie alle Wiedergänger, zutiefst ambivalente Figuren, weil sie einer Welt angehören, die nicht nach den Regeln einer kalkulierbaren Ökonomie funktioniert. Ähnlich wie ihre Verwandten, das Geschenk (engl. gift), das auch zum gefährlichen Gift werden kann und das Versprechen, das scheitern und zum Verrat werden kann, gehören die Gespenster einer Ökonomie der Verschwendung an, und geben sich mal freigiebig und festlich, mal gefährlich und unkontrollierbar.

Die Freibigkeit UND Unkontrollierbarkeit von Hofstetters Shemales liegt hier durchaus auch in der vorgeführten Geschlechtlichkeit, aber nicht im pornographischen Sinn, der ja auch nur eine Spielart des ökonomischen Kalküls ist wäre.
Vielmehr verkörpern Hofstetters Shemale Geister eine besonders stilisierte Form dessen, was sich in der eigenen Geschlechtlichkeit an Gespenstern so alles nebeneinander und gleichzeitig aufdrängt. Nicht die Shemales sind der Schreck, sondern wie trojanische Pferde importieren sie Foucaults nicht immer schmerzlose Erkenntnis, „dass die geheimsten und tiefsten Wahrheiten des Individuums im eigenen Geschlecht (selbst) gesucht werden müssen“.
Der Bezug zur Psychoanalyse ist offensichtlich, aber auch das ist nur eine von vielen Spuren, die in Hofstetters Arbeiten gelegt wird: die quasi öffentlich gemachte Struktur der Psychoanalyse, die sich vor allem auch für die Rückseite interessiert und diese offenlegt. Hofstetters Zeichnungen werden im begleitenden Künstlerbuch RECTO VERSO mit Vorder- und Rückseite gezeigt und sind selbst in ihrer Vorderseite „nur“ die Rückseite einiger seiner Ausstellungs-Projekte, die man hier nicht oder eben nur in Form einer Spur sieht, welche die jeweiligen Arbeiten legen.
Die dazugehörigen Werke sind in RECTO VERSO zwischen der Vorder- und der Rückseite der Zeichnungen zu sehen.
Auch Conradys Bilder entziehen sich dem ökonomischen Kalkül und sind ebenfalls Palimpseste der Verschwendung. Was wir auf den Bildern sehen, ist nur die oberste Schicht einer verborgenen ghost story der Übermalungen und Abschabungen.

Die mysteriöse Aufgeladenheit seiner Figuren erinnert (nochmal) an Robert Walsers Gehülfen, die Agamben als Wesen beschreibt, „die in der profanen Zeit (...) schon dem letzten Tag angehören. Sie sind Übersetzer der Sprache Gottes in die Sprache der Menschen. Merkwürdige Wesen, schwer zu erkennen, fast unscheinbar.“

Die Ausstellung TRANS bezeugt in all ihrer Strenge , dass das Heilige in profanen Zeiten nur in zwielichtigen und unscheinbaren Formen gegenwärtig ist und dass sich die Elemente der Verklärung heute in dem verstecken, was anstößig und lächerlich erscheint.

Vermutlich ist es kein Zufall, das Hofstetter hier auch seine Arbeit Hieronymus zeigt. Hieronymus ist der Schutzpatron der Übersetzer. Als einer der 4 Kirchenväter las er bereits im 4. Jahrhundert nach Christus, christliche UND pagane Werke und wagte sich in diesem - damals durchaus unerlaubten Sowohl-als-auch - weit hinaus.
Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass der andere Hieronymus – Bosch - in den Berliner Gemäldegalerien mit einem Werk vertreten ist, das mit Vorder- UND (wunderbarer) Rückseite ausgestellt ist: Johannes auf Patmos.
Wie Conrady beginnt Bosch – zu seiner Zeit völlig unüblich – auf diesem Gemälde mit der Hauptfigur und gestaltet dann den Hintergrund
und vermutlich erinnern auch Conradys „Dreiergruppen“ nicht rein zufällig von Ferne an einige Bosch’sche Miniaturen.
Es ist nicht ganz abwegig, dass sich der Betrachter - von ihm selbst unbemerkt - nicht nur in Hofstetters Arbeiten Hieronymus und Sprengkabel mitspiegelt, sondern in sämtlichen Werken beider Künstler und möglicherweise teilt sich uns dabei etwas mit, was der österreichische Sänger Voodoo Jürgens einmal ungefähr so in sein staunendes Publikum rief: „Geh hearts, des is, wo die Magie sich ereignen tut, was schaut’s denn so deppert?“
Trau ma uns also, deppert zu schauen. Darum geht’s ja vielleicht.
Vielen Dank.